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Torso

Torso

Titel: Torso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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lediglich geklingelt, weil ich durch wollte. Sie standen auf dem Fahrradweg.«
    »Konntest du nicht um sie herumfahren?«
    Elin erhob sich nun ebenfalls.
    »Klar, Jojo. Ich hätte absteigen, unter dem Asphalt durchkriechen und auf der anderen Seite wieder hinaufsteigen sollen. Es war alles meine Schuld. Du entschuldigst mich. Ich muss Mirat etwas fragen. Ich bin gleich wieder da.«
    Jojo Jesus. Der Mann war ein Phänomen. Gandhi von Reinickendorf. Ihm war auch noch nie etwas passiert. Er strahlte den Irrsinn aus, den er predigte. Bei ihm funktionierte das.
    Mirat hatte sich nicht weit entfernt. Er stand im Hof und musterte Elins zertretenes Vorderrad.
    »Das ist hin«, sagte er, als sie bei ihm ankam.
    »Ja. Ich weiß.«
    »Ich besorge dir ein neues, wenn du willst.«
    »Okay. Aber etwas anderes brauche ich noch dringender.«
    »Pfefferspray.«
    »Nein. Ich brauche einen Berber, der sich mit Computern auskennt. Aber richtig.«
    Mirat nickte. »Komm.«
    Sie verließen den Hof, überquerten den Senftenberger Ring und gingen an der Rückseite eines der Hochhäuser entlang. Elin schaute an den eintönigen Fassaden hinauf und versuchte gleichzeitig, den pochenden Schmerz in ihrer rechten Backe zu ignorieren. Diese abgefuckten Wohnsilos. Vierzig Prozent Arbeitslosigkeit. Alkohol. In gewisser Hinsicht hatte das stumpfsinnige Arschloch, das sie verprügelt hatte, sogar recht. Sie war eine Sozialfotze. Sie, Jojo, Daniel. Alle waren genau das. Nützliche Idioten, die den Menschenmüll aus der Innenstadt heraushielten. Natürlich gab es nicht nur Typen wie Hein. Es gab auch Mirat. Aber der Vergleich war im Grunde unfair. Mirat würde hier nicht steckenbleiben. Sobald er Papiere bekäme, würde er einen Weg finden.
Wenn
er Papiere bekäme. Für Hein und seine Kumpel indessen bräuchte man vermutlich den kompletten Jahresetat der Sozialstation, um die ganze braune Scheiße herauszuholen, die in ihren Hirnen herumschwamm. Und das war noch eine unsichere Wette. Da konnte ihr keiner etwas erzählen. Sie war in einem Hamburger Villenviertel aufgewachsen und hatte hautnah erlebt, dass Scheiße im Hirn zu allem Übel gar kein Bildungs- oder Schichtenproblem war. Im Gegenteil. Und gegen die braune Scheiße in den Köpfen der Oberschicht half nicht einmal Pfefferspray.
    Mirat steuerte auf eine Kellertreppe zu und öffnete die Eisentür. Die nächsten Minuten liefen sie durch ein Gewirr von Kellergängen. Plötzlich bog Mirat rechts ab. Eine schmale Treppe führte in ein noch tiefer gelegenes Stockwerk. Es wurde wärmer. Und dunkler. Mirat blieb stehen, griff in eine Mauernische und holte eine Taschenlampe heraus.
    Der Lichtkegel beleuchtete einen schmalen Gang, an dessen Decke Heizungsrohre entlangliefen. Nach einigen Metern stießen sie auf die erste Wohnung. In einer kleinen Nische lag eine schwarze Isomatte auf der Erde, eine graue Filzdecke obenauf. Dahinter standen drei oder vier gefüllte und verschlossene LIDL -Plastiktüten und ein abgewetzter Rollkoffer, alles ordentlich aufgereiht. Mirat ging weiter. Offenbar war es die falsche Wohnung. Nach ein paar Schritten kamen sie am nächsten Lager vorbei. Jemand saß dort auf dem Boden und aß Ravioli aus der Dose. Mirat kniete sich hin und sprach mit der Person. Elin konnte nicht viel von dem Mann erkennen. Sein Gesicht war hinter einem struppigen Vollbart verborgen, und er schaute nicht auf, während Mirat auf ihn einsprach.
    »Er ist im Block D«, sagte Mirat, als er wieder aufgestanden war. »Wir müssen oben rum.«
    Sie gingen den gleichen Weg zurück, den sie gekommen waren, überquerten das Rasenstück zwischen den beiden Gebäuden und stiegen neben dem Haupteingang von Block D eine Treppe hinab bis zu einer Eisentür.
    Mirat rüttelte an der Klinke, aber nichts rührte sich. Elin schaute ihn erwartungsvoll an. Mirat grinste nur.
    »Pass auf!« Dann machte er einen Schritt rückwärts und trat mit voller Wucht ein paar Zentimeter unterhalb des Schlosses gegen das Metall. Die Tür sprang auf.
    »Ist verbogen«, erklärte er. »Komm.«
    Wieder ging es zunächst durch Kellergänge. Dann erreichten sie erneut eine unscheinbare Abzweigung, hinter der sechs Stufen auf eine tiefer liegende Ebene führten.
    »Warte«, sagte er plötzlich. Er griff wieder über sich. Sein rechter Arm verschwand fast vollständig in einem unscheinbaren Loch hinter einem der Heizungsrohre. Als seine Hand wieder zum Vorschein kam, lag ein kleiner Stoffsack darin.
    »Hier«, sagte er und gab ihn ihr.
    »Was

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