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Torso

Torso

Titel: Torso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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zwei Flaschen Mineralwasser, eingeschweißten Gouda, abgepacktes Vollkornbrot sowie Plastikbecher und -geschirr. Sie stieß den Karton wütend von sich weg und starrte grimmig vor sich hin.
    Ein Scherz, dachte sie. Das Ganze war ein übler, ein miserabler Scherz. Aber wer? Wer hatte sich das ausgedacht? Und dann dämmerte es ihr. Natürlich! Sie war bei drei großen Consulting-Unternehmen im Rennen. War das zu fassen? So weit gingen die schon, um Persönlichkeiten herauszufiltern? Denn was sollte das hier sonst sein? Was hatte dieser verrückte Mönch gesagt? Sippenhaft? Wer sollte sie in Sippenhaft nehmen? Warum überhaupt? Sie kam aus einer vorbildlichen, erfolgreichen Familie. Es waren diese Spanier. Bestimmt die Spanier. Deshalb auch die Priesterkutte. Die Interviews waren schon so komisch verlaufen. Was die alles gefragt hatten. Okay, die Briten und die Franzosen hatten auch viel gefragt. Und natürlich Rollenspiele. Die Franzosen hatten sogar einen Graphologen dabeigehabt. Für Top-Nachwuchspositionen wollten die eben kein Risiko eingehen. Fachkenntnisse konnte jeder testen. Aber Persönlichkeit. Reaktionsvermögen unter Stress. Das wollten die ja immer herausfinden. Managementfähigkeiten unter extremer Belastung. Aber so etwas?
    Sie schaute sich um. Wo befand sie sich? Vermutlich am Potsdamer Platz, im Keller von einem der großen Player. Und die nächsten zehn Minuten entschieden darüber, ob sie in die nächste Runde kam. Nein, das ging zu weit. Betäubt und entführt. Die Arschlöcher hatten sich gehörig ins Knie geschossen. Das war Freiheitsberaubung. Eine Straftat. Sie würde jetzt da rausgehen, und diese Leute hätten dann genau zwei Optionen: ihr den Job ihrer Wahl zu geben oder eine Klage an den Hals zu bekommen, die sich gewaschen hatte. Was bildeten die sich eigentlich ein? Sie war Inga Zieten. Wenn ihr Vater erst davon erfuhr …
    Sie schaute auf ihre Armbanduhr. Halb neun. Morgens oder abends? Wie lange hatte sie geschlafen? Sie fuhr sich mit der Hand durch die Haare und erschrak wie beim ersten Mal über die Stoppeln auf ihrem Kopf. Und plötzlich war ihre Selbstsicherheit wieder wie weggeblasen. Sie kauerte sich angstvoll gegen die Kellerwand und lauschte angestrengt in die Stille hinein. Kein Laut drang an ihr Ohr. Nein, sie befand sich sicher nicht am Potsdamer Platz. Und dort draußen warteten keine Headhunter auf sie. Sie war in der Gewalt eines Irren. Eines durchgedrehten Priesters oder Mönchs.
    Sie nahm sich vor, eine Stunde auszuharren. Aber bereits nach zwanzig Minuten hatte sie das Gefühl, eine Ewigkeit damit verbracht zu haben, auf Geräusche zu lauschen. Nichts rührte sich. Und hatte der Mönch nicht gesagt, sie könne die Toilette benutzen? Also würde sie das tun.
    Sie erhob sich, ging zur Tür und drückte auf die Klinke. Es war eine Metalltür, und die Klinke fühlte sich eiskalt an. Mit einem leisen Klick gab die Tür nach und schwang nach innen. Inga steckte den Kopf aus der Öffnung.
    Ein gemauertes Gewölbe erstreckte sich links und rechts von ihr. Vor ihr hing eine Glühbirne von der Decke herunter. In einer Nische gegenüber stand tatsächlich eine verdreckte Toilettenschüssel. Inga wandte sich nach rechts und folgte dem Gang, so weit der Schein der Glühbirne reichte. Nach wenigen Metern begann eine Kurve, und sie sah nichts mehr. Sie ging noch ein paar Schritte und blieb dann stehen. Nichts rührte sich. In geringer Entfernung erkannte sie die Umrisse einer Tür, hinter der Licht brannte. Hatte sie vielleicht doch recht gehabt mit ihrer Vermutung? Ein Test. Welcher echte Entführer würde eine solch idiotische Regel aufstellen, ihre Tür tatsächlich unverschlossen lassen und ernsthaft glauben, dass sie nicht versuchen würde zu fliehen?
    Also doch ein Test. Sie würde sich lächerlich machen, wenn sie in ihrer Zelle sitzen bliebe. Potentielle Top-Managerin harrt bei psychologischer Prüfung stundenlang in ihrer Zelle aus. Risikobereitschaft gleich null. Initiative gleich null.
    Sie ging zwei Schritte weiter, blieb wieder stehen und lauschte erneut. Es war nichts zu hören. Die Tür vor ihr war nur angelehnt. Sie drückte leicht dagegen. Die Tür schwang zurück. Der Raum war weitgehend leer. Was war das hier nur? Eine ehemalige Waschküche? An der Wand zu ihrer Linken stand ein gut vier Meter langer Edelstahltisch. Inga ließ ihren Blick durch den Raum gleiten. Da war eine große, dunkelblaue Metallkiste. Eine mächtige Tiefkühltruhe stand an der Stirnseite.

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