Torso
Wesens waren aus Seide und Draht geformte, merkwürdig gezackte Flügel befestigt.
Weyrich untersuchte das Objekt bereits seit einigen Minuten. Er hatte den schweren grünen Mantel zur Seite geschlagen und den Oberkörper der Puppe darunter freigelegt. Jetzt stand er kopfschüttelnd davor und betrachtete die Bemalung des Brustbereichs. In drei Reihen untereinander waren insgesamt neun grüne Kreise, Vierecke und Rhomben gezeichnet.
Zollanger beobachtete Sina, die jeden Handgriff Weyrichs mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgte. Sie machte sich unentwegt Notizen.
»Chef?«
Krawczik stand plötzlich neben ihm.
»Ja.«
»Wir haben die Bänder der Videoüberwachung. Du solltest dir das ansehen. Es ist kaum zu glauben.«
»Was?«
»Komm mit runter.«
Er folgte Krawczik in den Flur hinaus. Der Fahrstuhl wartete bereits. Roland Draeger blockierte die Lichtschranke der Türen.
»Der Typ hat echt Nerven«, sagte Krawczik. »Spaziert einfach mitten durchs Bild.«
»Bist du sicher?«
»Todsicher. Du wirst es gleich sehen. Wir nehmen die Bänder mit zur Bildtechnik und blasen die Bilder auf. Mit ein bisschen Glück haben wir das Gesicht von dem Kerl. Kannst du Frieser gleich melden, wenn er mit den Eigentümern fertig ist.«
Der Fahrstuhl kam mit einem Ruck zum Stehen. Die Überwachungstechnik war in einem Metallschrank neben dem Heizungskeller untergebracht. Ein Sicherheitsbeamter erwartete sie. Ein schwarzweißes Standbild flimmerte auf dem Monitor.
»Lassen Sie abfahren«, befahl Krawczik dem Mann.
Die Zeitanzeige am unteren Bildrand stand bei 19:49:37. Die Sekunden ratterten los. Um 19:49:48 öffnete sich die Garagentür. Ein dunkelfarbiger Lieferwagen rollte langsam die Rampe herunter. Der Fahrer war aus dieser Perspektive nicht zu erkennen, aber das Nummernschild war gut lesbar. Hamburger Kennzeichen, registrierte Zollanger. Der Wagen bog ab und verließ den Aufnahmewinkel der Kamera. Der Sicherheitsmann drückte auf einen Knopf. Das Bild wechselte zu einer anderen Kamera, die einen Parkplatz direkt neben dem Fahrstuhl überwachte. Der Wagen parkte. Ein vermummter Mann stieg aus. Zollangers Schläfen pochten.
»Ein verdammter Mönch«, flüsterte Krawczik. »Ist das zu fassen? Ein Kirchenmann.«
Zollanger sagte nichts. Bisher war das Gesicht der Person nicht zu sehen gewesen. Der Unbekannte öffnete die Hecktür des Wagens und wuchtete einen großen Rollkoffer von der Laderampe.
»Modus operandi«, kommentierte Krawczik. »So wird er auch Torso Nummer eins transportiert haben.«
»Glaubst du wirklich?«, fragte Zollanger. »In Mönchskutte mit einem Rollkoffer durch Berlin-Lichtenberg. Auffälliger geht es wohl kaum?«
»He, der Typ kümmert sich doch einen Scheiß um Unauffälligkeit. Überall Kameras. Große, alte Dinger aus den achtziger Jahren, die man gar nicht übersehen kann. Und er spaziert einfach davor herum.«
»Er ist vermummt.«
»Und das Nummernschild?«
»Hamburg«, sagte Zollanger. »Ich fresse einen Besen, wenn es kein Mietwagen ist. Mit falschem Ausweis gemietet.«
Der Mönch schloss die Hecktür, zog den Teleskopgriff aus dem Rollkoffer und ging zum Fahrstuhl.
»Keine Aufnahme von seinem Gesicht?«, fragte Zollanger.
»Abwarten«, erwiderte Krawczik.
Das Band spulte vor. Bei 20:14:24 öffnete sich die Fahrstuhltür wieder. Mönch und Rollkoffer kamen zum Vorschein. Der Mann schien keinerlei Angst zu haben, dass ihn jemand entdecken könnte. Er öffnete die Heckklappe, stellte den Rollkoffer hinein und schloss die Tür. Dann, während er zur Fahrertür ging, blickte er kurz direkt in die Kamera. Das Objektiv hatte sein Gesicht erfasst. Aber es war nur spärlich ausgeleuchtet, ein Schemen in der Kapuze.
»Das kriegen wir hin«, sagte Krawczik. »Mehr als das brauchen die bei der Bildtechnik nicht. Sie werden es aufhellen und durch ihre Pixelprogramme jagen, bis diese Visage so klar und deutlich zu sehen ist wie der Arsch von einem Pavian.«
»Okay«, sagte Zollanger und erhob sich. »Harald und Günther sind in Cottbus. Das Band ist zu wichtig. Ich nehme es selbst mit. «
»Schaut direkt in die Kamera«, murmelte Krawczik. »Kaum zu glauben.«
»Eben«, sagte Zollanger. »Freuen wir uns mal nicht zu früh. Jeder Verbrecher macht Fehler. Aber so viel Dummheit ist selten. Bis gleich.«
Als Zollanger das oberste Geschoss erreicht hatte, lief er Staatsanwalt Frieser in die Arme.
»Ich habe Sie gesucht«, sagte er schroff. »Wo waren Sie denn?«
Zollanger zeigte Frieser die
Weitere Kostenlose Bücher