Torso
Jahren tot. Aber Elin konnte ihre Stimme hören, wenn sie diese Zeilen las, den schwedischen Singsang.
»Seit dieser Woche weiß ich, wo er sich herumgetrieben hat, als Elin zur Welt kam. Mit wem. Es ist so banal. So billig. Warum also zerschneidet mir der Gedanke das Gedärm. Und was kann das arme Kind dafür?«
Diesen Satz hatte sie nie begriffen. Was hatte ihre Mutter damit gemeint? Es war ein wirrer Satz in einem wirren Brief. Ein Aufschrei gegen jemanden, der so viel Sensibilität hatte wie ein Kameraobjektiv.
»Er kann nichts dafür.«
Das stand auch irgendwo. Und vermutlich stimmte es. Edmund Hilger konnte man nicht ändern. Man konnte ihn nur meiden. Ihre bildschöne Mutter! Ihr Aussehen war ihr stärkster Trumpf gewesen. Sie hatte ihn gespielt. Und eine Arschkarte gestochen.
Elin stieß das Telefon zur Seite und brach auf.
Sie fuhr zu Hagen, fand ihn in seinem Kellerverschlag und zeigte ihm den Ausdruck der eingefrorenen Bildschirmseite. Er schüttelte nur den Kopf.
»Kapiert ihr junges Gemüse das nicht. Das Internet ist eine Sonde, eine Sonde in dein Hirn. Computer sind keine Maschinen. Es sind Tentakel, Sinnesorgane – des Feindes!«
»Was ist das für ein Fenster?«, fragte Elin kleinlaut.
»Ein beschissenes Logfile ist das. Dein Bruder ist auf der Kackliste von irgendeinem Server. Sobald du mit seiner Maschine ins Netz gehst, meldet die sich automatisch dort an.«
»Wo dort?«
»Keine Ahnung. Die meisten Firmen kontrollieren, was ihre Angestellten im Internet treiben, welche Dateien sie aufmachen, was für Daten sie herunterladen, und so weiter. Ich sage doch, mit dieser Technik gibt es keine Geheimnisse mehr. Ohne das Theseus-Programm bist du nackter als nackt. Lass die Finger davon. Schmeiß diese Kiste auf den Müll …«
»Hagen, ich brauche diese Informationen. Wenn mich dieses Logfile gefunden hat, dann muss es doch auch möglich sein, den umgekehrten Weg zu gehen. Wer interessiert sich für den Computer von jemandem, der tot ist?«
»Keine Ahnung. Solche Programme laufen automatisch. Alles, was ich weiß, ist: Irgendwo steht ein Server, auf dem jetzt alles gespeichert ist, was du gestern auf dieser Maschine gemacht hast. Wer immer darauf Zugriff hat, kann diese Informationen haben. Wenn dich das nicht stört, dann ist es ja kein Problem.«
»Wo steht dieser Server?«
»Wo hat dein Bruder gearbeitet?«
»In einer Immobilienfirma in Charlottenburg.«
»Dann wird er vermutlich dort stehen. Das ist jedenfalls das Wahrscheinlichste.«
Hagen nahm Elins Ausdruck zur Hand und musterte die Zahlenkolonnen. »Hier«, sagte er und deutete dabei auf eine Stelle. »Hat dein Bruder noch alte Geschäfts-E-Mails in dieser Maschine?«
»Ja. Sicher. Tausende.«
»Mach mal eine auf.«
Elin schaltete den Computer ein, öffnete das E-Mail-Programm und klickte auf eine alte Nachricht mit dem Kürzel @ BIG -gmbh.de im Absender. Hagen drückte auf eine Schaltfläche. Ein Fenster unter der Nachricht öffnete sich. Es sah so ähnlich aus wie das kleine Fenster, das sie gestern entdeckt hatte. Hagen fuhr mit der Maus über den Zahlensalat. Plötzlich hielt er inne und markierte eine Zeile mit Nummern und Buchstaben.
»Bingo. Siehst du. Das ist die Kennung. Gleicher Server.«
»Das heißt, die kontrollieren Eric noch immer?«
»Seine Computertätigkeit wird dort registriert. Das passiert automatisch. Kapierst du jetzt, warum du von dieser Kiste die Finger lassen solltest?«
Elin hockte sich auf Hagens Decke und starrte vor sich hin. »Hast du irgendwo ein altes Handy?«, fragte sie dann. Hagen schüttelte den Kopf. »Handy? Ich? Für wie bescheuert hältst du mich eigentlich. Geh zu Mirat. Der hat jede Menge von den Dingern.«
Sie fand Mirat wie üblich vor dem LIDL . Er gab ihr ein altes Nokia und begleitete sie auf einen verwahrlosten Spielplatz, auf dem sogar die Mülleimer demoliert waren. Es war kalt und nieselte, und so hockten sie sich in das Führerhäuschen einer Lokomotive, deren Kessel verkohlt, deren Dach aber dicht war.
Mirat legte die erste SIM -Karte ein. Elin nannte ihm den Code. Er funktionierte. Es dauerte etwa zwei Minuten. Das Gerät piepste zweimal. Dann noch einmal, dann erneut. Mirat drückte auf den Tasten herum.
»Reklame«, sagte er. »Von August. Wie lange war die Karte inaktiv?«
»Keine Ahnung«, sagte Elin. »Sind irgendwelche Namen gespeichert?«
»Ja. Jede Menge.«
Er reichte ihr das Handy. Sie scrollte sich durch den Bildschirm. Berhalter. Kulnik. Wagner.
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