Torso
Videokassette, die er in der Hand hatte.
»Wir haben wahrscheinlich eine Bildaufnahme vom Täter«, erwiderte Zollanger ruhig. »Wenn wir Glück haben, wissen wir bald, woran wir sind.«
Frieser fuhr sich mit der Hand über das Kinn.
»Na endlich. Ich dachte schon, Sie kämen überhaupt nicht voran.«
Zollanger schluckte den Vorwurf. Dann sagte er: »Möglicherweise haben wir einen Hinweis darauf, wo der Ziegenkopf herstammt.«
»Mir geht das alles zu langsam«, schimpfte Frieser. »Lassen Sie mir bitte Kopien sämtlicher Akten machen, auch von den CD - ROM s mit den Tatortfotos. Ich will mir das alles selbst noch einmal genauer ansehen.«
Zollanger zuckte mit den Schultern und ließ seinen Blick wieder in Richtung des Torsos schweifen. Weyrich untersuchte gerade den Kopf etwas genauer. Er löste den geflochtenen Haarkranz von der Kopfhaut ab und legte ihn neben sich.
Zollanger ging zu ihm hin.
»Was sind das für Haare?«
»Menschliche Haare, aber nicht von diesem Kopf. Diese Dame hier war brünett.« Er deutete auf eine Stelle am Hinterkopf, wo deutlich sichtbar noch einige Haarbüschel zu sehen waren. »Der Kopf ist teilweise rasiert worden.« Er reichte Zollanger ein Stück schwarzes Klebeband. »Das habe ich an der Tierkralle unter dem Stoff gefunden. Ich habe es noch nicht geprüft, aber es sieht genauso aus wie das Klebeband an den Hinterläufen des Schafes.«
»Also hat er bereits zwei menschliche Körper in seiner Gewalt«, sagte Sina, die zu ihnen getreten war.
Frieser kam näher und studierte den blonden Haarkranz, den Weyrich neben sich abgelegt hatte.
»Schicken Sie bitte sofort eine Probe dieser Haare nach Dahlem ins Labor.«
»Das mache ich sowieso«, sagte Weyrich. »Spätestens morgen Mittag gehen die Haare und alle anderen Proben von dieser Scheußlichkeit zusammen dorthin.«
»Nein«, sagte Frieser. »Ich will, dass Sie die Haare sofort losschicken. Möglicherweise gibt es ein zweites Opfer. Und vielleicht noch weitere. Ab jetzt zählt jede Stunde.«
Zollanger und Sina wechselten verstohlen einen Blick.
»Kein Problem«, sagte Weyrich. »Wir haben genug davon. Hier.«
Er nahm den Haarkranz, schnitt ein Stück davon ab, ließ es in einen Spurenbeutel fallen und versiegelte ihn. »Bitte.«
Frieser schaute verdutzt. Dann nahm er ohne eine weitere Erwiderung den Beutel und ging zu einem der beiden Tatortleute, der ihn nach einer kurzen Erklärung Friesers kennzeichnete.
»Ob er ihn wohl selbst nach Dahlem bringt?«, bemerkte Sina spöttisch.
Zollanger sagte nichts. Er tastete nach der Videokassette in seiner Jackentasche und schob sie instinktiv tiefer hinein.
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35
W as machst du in Berlin?«
Elin antwortete nicht. Der Klang seiner Stimme. Das Unsichere, Unverbindliche und Passive daran … sie konnte es nur schwer ertragen. Sie wollte nicht mit ihrem Vater sprechen. Warum rief er sie hier an? Warum war sie ans Telefon gegangen? Woher wusste er überhaupt, dass sie in Erics Berliner Wohnung war?
»Was willst du, Papa?«
»Ich will mit dir reden, Elin. So kann es doch nicht weitergehen mit uns. Meine beiden Kinder …«
Die Stimme versagte ihm.
»Das fällt dir jetzt ein«, sagte sie kühl.
Edmund Hilger war nicht in der Lage, zu sprechen. Sie hörte ihn schniefen. Wut stieg in ihr hoch. Dieses Selbstmitleid. Diese klebrige, weiche, lasche Art von ihm. Wie sie das hasste, immer gehasst hatte. Warum ließ er sie nicht in Ruhe? Sie hatten sich nichts zu sagen. Dieser Egomane. Dieser schwanzgesteuerte Schönling mit seinem sinnlosen Geknipse und seinen Hochglanztussis. Was wollte er von ihr?
Sie legte auf, und sofort tat es ihr leid. Und dass es ihr leidtat, machte sie wütend. Genau deshalb änderten sich diese Menschen nie, dachte sie grimmig. Weil sie in ihrer Erbärmlichkeit Mitleid erregten. Selbst zu keinerlei Mitleid fähig, konnte man sie dennoch nur bedauern.
Sie hatte Jahre gebraucht, bis sie wirklich begriffen hatte, wie er ihre Mutter zugrunde gerichtet hatte. Ihre schwedische Tante hatte es ihr erzählt, als sie sechzehn war. In allen Einzelheiten. Die Lügen, die gebrochenen Versprechen. Elin lebte damals auf der Straße. Einmal war sie zu ihr nach Lund getrampt und hatte wochenlang bei ihr gewohnt. Irgendwann hatte ihre Tante ihr die Briefe gezeigt, die ihre Mutter ihr in den letzten zwei Ehejahren geschickt hatte. Da hieß der Krebs noch Migräne und Stoffwechselstörung. Elin hatte die Briefe gelesen und tagelang geheult. Ihre Mutter war seit sieben
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