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Torso

Torso

Titel: Torso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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Sekunden, dann kurbelte er kurz entschlossen die Scheibe herunter, klemmte das Blaulicht auf das Dach und ließ die Sirene zweimal aufheulen. Der zähflüssige Blechbrei vor ihnen geriet langsam in Bewegung, und eine schmale Gasse öffnete sich. Zollanger brauste durch.
    »Ich bin hundemüde«, sagte Zollanger, wie um sein Verhalten zu entschuldigen. »Komm, wir gehen erstmal frühstücken.«
    Kurz bevor sie die Keithstraße erreichten, schaltete er das Blaulicht wieder aus.
    Sie gingen in ein Café in der Ansbacher Straße. Recht schnell erschienen zwei dampfende Milchkaffeeschalen und ein Körbchen mit lauwarmen Croissants vor ihnen auf dem Tisch. Umso länger dauerte Zollangers Rührei, auf das er schon fast keinen Appetit mehr hatte, als es endlich kam.
    Sina biss ein Stück Croissant ab und spülte es mit Kaffee hinunter. Zollanger hatte sein Hörnchen nur kurz eingetunkt und dann desinteressiert auf seiner Untertasse abgelegt.
    »Keinen Hunger?«, fragte sie.
    »Nein. Nicht wirklich.«
    »Schon länger?«
    Er lächelte.
    »Du klingst wie der Amtsarzt.«
    Ja, dachte sie jetzt. Der sollte dich auch einmal untersuchen. Denn du siehst müde aus. Müde und alt. Sie war versucht, ihm zu empfehlen, bald mal wieder einen Italienurlaub zu machen. Die zwei Wochen Toskana im Frühjahr hatten ihm so gutgetan. Er war ganz verändert zurückgekehrt. Aber … warum machte sie sich überhaupt Sorgen um ihn? Er war ihr Chef. Sonst nichts.
    »Also, wo stehen wir, Martin?«, sagte sie rasch, um das Thema zu wechseln. »Wie machen wir weiter?«
    »Wir warten, bis die Videomitschnitte ausgewertet sind«, erwiderte er. »Vermutlich haben wir ein Foto des Täters. Vielleicht bringen Harald und Günther verwertbare Informationen aus Cottbus mit. In ein oder zwei Tagen haben wir den Kerl.«
    »Wann kriegen wir die Fotos?«
    »Ich denke, bis morgen früh. Oder schon heute Nachmittag, wenn Frieser Druck macht.«
    »Womit sich weitere Spekulationen erst einmal erübrigen.«
    Zollanger nickte. »Ich hoffe.«
    »Und unser Ausflug letzte Nacht war überflüssig.«
    »Ja«, seufzte Zollanger. »Das hätte ich uns wirklich gern erspart. Obwohl … dein Anblick war es durchaus wert.«
    »Danke«, sagte sie und versuchte, kühl zu bleiben. Aber Zollangers Blick ließ sie nun doch ein wenig erröten. Sie lächelte unsicher.
    »Woher hattest du den Lederkram?«, fragte er spitz.
    »Ach, das waren ganz normale Sachen in ungewöhnlicher Kombination. Hendrik hat mir mal erzählt, wie das geht.«
    »Hendrik. Sag bloß. Seid ihr … ich meine, habt ihr …?«
    »Nein, nein. Er hat früher beruflich mal mit Sexkram zu tun gehabt, hatte aber ziemlich schnell die Schnauze voll davon. Mir ging es übrigens gestern ähnlich. Dir nicht?«
    »Wie meinst du das?«
    Sina wusste gar nicht, wie ihr geschah. Sie wollte mit Zollanger nicht über diese Dinge reden. Und zugleich wollte sie es doch.
    »Erst ist man ein wenig erregt«, sagte sie unsicher. »Schockiert und erregt, meine ich. Aber dann kommt man sich vor wie bei Stromausfall bei ALDI an der Kasse. Nur dass eben alle halbnackt sind.«
    »Mich hat etwas ganz anderes überrascht«, sagte Zollanger.
    »Und zwar?«
    »Die Entspanntheit. Ich habe selten so viele Männer auf einem Haufen gesehen und gleichzeitig so wenig Aggression gespürt. Ich meine, die Aufmachung der Typen war zum Teil furchterregend, aber es war im Grunde kein Vergleich zu anderen Männerversammlungen.«
    Sinas linke Braue fuhr skeptisch nach oben.
    »Wie meinst du das?«
    »Na ja, was man eben sonst mit Männern erlebt. Im Fußballstadion oder in einer Diskothek. Es gibt da immer eine unterschwellige Aggression, einen Triebstau wahrscheinlich, der sich nicht entladen kann. In diesem Trieb-Werk war das nicht der Fall.«
    »Vielleicht, weil die Entladung garantiert ist«, sagte Sina. »Einfach rein in irgendeinen Tunnel, und los geht’s.«
    »Ja«, stellte Zollanger fest. »Es gab jedenfalls keinen Mangel an Freiwilligen.«
    Eine kurze Pause entstand. Sinas Herz klopfte. Sie wollte weg von diesem Thema. Es hatte nichts mit dem Fall zu tun. Aber zugleich spürte sie, dass sie wissen wollte, wie Zollanger diesen Abend erlebt hatte. Ja, sie hätte gern so einiges über ihn gewusst. Warum er zum Beispiel keine Freundin oder Frau hatte? Oder gab es jemanden? Und seine Familie? Sie hatte ihm sehr viel von sich erzählt. Und er? Irgendwo gab es einen Bruder, mit dem er aber keinen Kontakt pflegte. Und sonst? Seine Ex-Frau hatte wieder

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