Torso
sagen.«
Sina atmete tief durch. Doch bevor sie etwas erwidern konnte, klingelte Zollangers Handy. Sina schaute ihn fragend an. Zollanger starrte auf den kleinen Bildschirm.
»Findeisen«, sagte er. Dann drückte er auf die Antworttaste. »Hier Martin. Was ist? Wo seid ihr?«
Zollanger stand plötzlich auf.
»Seid ihr sicher?«
Sina erhob sich sofort, ging zum Tresen und bezahlte. Als sie zurückkam, stand Zollanger nachdenklich am Tisch.
»Was ist?«, fragte sie.
»Wir sind offenbar ein Stück weiter.«
»Und? Al-Quaida?«
»Nein. Frauenhandel. Die haben eine Spur. In Cottbus.«
[home]
40
H ans-Joachim Zieten starrte entsetzt den Namen an, der auf Aivars’ Liste hellgelb markiert war. Der Lette wartete zufrieden, bis Zieten die Worte wiederfand.
»Können Sie mir bitte erklären, wie Sie zu dieser absolut irrwitzigen Information gekommen sind?«
»Die Torsi sind Nachbildungen«, erklärte Aivars. »Sie sind Allegorien auf einer italienischen Wandmalerei nachempfunden. Sie stammen aus dem vierzehnten Jahrhundert. Von einem gewissen Lorenzetti.«
»Was heißt das bitte, verdammt noch mal. Ich verstehe überhaupt nichts.«
»Ich gebe Ihnen eine Kurzfassung«, sagte Aivars ruhig. »Die Stadt Siena war im dreizehnten Jahrhundert so gut wie ruiniert, weil jede Regierung derart mit den lokalen Clans verstrickt war, dass letztlich immer das Gleiche herauskam: Die Bürger wurden ausgeraubt. Der wirtschaftliche und politische Niedergang der Stadt war katastrophal. Es gelang der Stadt erst, sich aus dem Würgegriff der mächtigen Familien zu befreien, als man damit begann, wichtige Ämter nur noch auf Zeit und vor allem an neutrale Verwalter von auswärts zu vergeben. Das rettete die Stadt. Um diesen Erfolg für alle Zeit im Gedächtnis der Regierenden frisch zu halten, wurde um 1340 ein Wandgemälde in Auftrag gegeben. Es stellt sehr drastisch die Folgen einer guten und einer schlechten Regierung gegenüber. Schauen Sie.«
Er öffnete eine Datei auf dem Computer und lud eine Detailansicht des Gemäldes auf den Bildschirm.
»Das hier ist die Allegorie der schlechten Regierung. In der Mitte sitzt der Chef der üblen Bande: die Figur des Tyrannen. Wie Sie sehen, handelt es sich um ein schielendes Monstrum mit Schweinezähnen, zu dessen Füßen eine Ziege kauert. Links davon sitzen Crudelitas, Proditio und Fraus, also die Grausamkeit, der Verrat und der Betrug. Proditio und Fraus haben den Torsi Nummer zwei und drei Pate gestanden. Davon bin ich überzeugt. Der Torso, der in Lichtenberg gefunden wurde, enthält Elemente der Tyrannenfigur.«
Zieten starrte die Fratzen auf dem Bildschirm an. Seine Lippen bildeten nur noch einen schmalen Strich.
»Auf den Botschaften, die Sie und Marquardt bekommen haben, sind Embleme zu sehen«, erklärte Aivars weiter. »Die Torsi verweisen auf eine hochpolitische Wandmalerei. Das heißt, die Symbolsprache dieses Täters ist stark moralisierend. Vor allem ist sie ungewöhnlich altertümlich. Meine Vermutung war, dass kein Jugendlicher oder junger Mensch, sondern ein älterer Zeitgenosse hinter diesen Arrangements steckt, jemand, der diese Wandmalerei sehr gut kennt oder in Büchern studiert hat. Eine Person, die vermutlich Bibliotheken benutzt. Es war, wie gesagt, nur eine Arbeitshypothese. Ein Versuch.«
»Aber wie um alles in der Welt haben Sie diesen Namen gefunden?«, wollte Zieten ungeduldig wissen.
»Ich habe in den Online-Katalogen der fünf größten Bibliotheken Berlins nach Kunstbänden gesucht, die diese Gemälde detailliert behandeln. Die Signaturnummern der entsprechenden Bände habe ich jemandem geschickt, der für mich arbeitet. Er hat die Server der Bibliotheken danach durchforstet, wer in den letzten sechs Monaten diese Signaturnummern bestellt hat. Für einen guten Hacker ein Kinderspiel. Und wir haben Glück gehabt. Wie Sie sehen, hat Hauptkommissar Martin Zollanger gestern um 9:38 Uhr zwei der gelisteten Bände bestellt und sie um 13:34 Uhr ausgeliehen.«
Zieten war sprachlos. Er wusste gar nicht, worüber er mehr staunen sollte. Über diesen Aivars und seine analytischen Fähigkeiten. Über die Tatsache, dass ein Hacker in kürzester Zeit herausfinden konnte, wer wann welche Bücher las. Oder das Unglaublichste von allem: Dass der Mann, der für all diesen Wahnsinn verantwortlich war, ein Polizist sein sollte. Und dazu noch ausgerechnet der Polizist, der diesen Fall bearbeitete.
»Aber … was soll das heißen?«, stammelte er.
Aivars zuckte mit den
Weitere Kostenlose Bücher