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Torstraße 1

Torstraße 1

Titel: Torstraße 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sybil Volks
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Herzklabaster, Kladderadatsch, Mischpoke, alter Fetzen. Jetzt muss er doch grinsen, obwohl ihm beim Laufen die Nässe in den Kragen läuft. Alter Fetzen wurden gleichermaßen nette Kinder,Uraltfreunde und gutmütige Hunde genannt. Es gab mal einen Hund in ihrer Familie, der so gerufen wurde. Erst Fetzen und dann alter Fetzen. Hier im Dunkeln und bei Regen kommt das Bernhard plötzlich so komisch vor, dieser alte Fetzen von einem Hund, dass er laut lachen muss. Und zack, macht sein Herz einen Satz, stolpert dreimal über sich selbst, setzt kurz aus und kriegt sich wieder ein. Er bleibt stehen, mit offenem Mund, und atmet leise und flach gegen die Angst.
    Zu Hause geht Bernhard sofort ins Bad, lässt Wasser in die Wanne laufen und nimmt sich ein Bier aus dem Kühlschrank. Auf dem Küchentisch liegt ein Brief von Elisa. Jedes Mal, wenn er daran denkt, dass es nun schon zwei Frauen mit so ähnlichem Namen in seinem Leben gegeben hat oder gibt, wird ihm seltsam zumute. Manchmal findet er es geradezu frevelhaft, dass er sich – zwei Jahre nach Karlas Tod – auf ein Liebesverhältnis eingelassen hat und dieses Liebesverhältnis ausgerechnet Elisa heißt. Karla würde sich im Grabe umdrehen, hat er gedacht, als er die erste Nacht mit der zehn Jahre jüngeren Frau in der Wohnung verbrachte. Derselben Wohnung, in der er so viele Jahre mit Karla gelebt und seitdem nur wenig verändert hatte. Und noch schlimmer fand er, dass sie ihn, als er sie kennenlernte, tatsächlich an Elsa erinnerte.
    Bernhard zieht sich aus, schmeißt die Klamotten in den Wäschekorb und stellt sich vor den Spiegel, der vom heißen Badewasser beschlagen ist. So kann er sich nur verschwommen erkennen und sieht plötzlich Wilhelm vor sich stehen. Nie ist ihm die Ähnlichkeit, die andere immer und immer wieder bescheinigt haben, dermaßen aufgefallen wie in diesem Augenblick. Als müsse er erst unscharf werden, um den Vater in sich sehen zu können. Nicht ganz so kantig sein Gesicht und auch die Nase ein bisschen gefälliger. Aber Haare, Augenbrauen und Augen, Kinn und Mund, das alles ist Wilhelm, wie er leibt und lebt.Leibte und lebte. Inzwischen ist er ja nur noch ein Schatten des einstigen Zimmermanns, der mit seinen zwei rechten Händen alles richten konnte, was defekt war, und fast alles bauen, was gebraucht wurde. Er nimmt das Handtuch vom Haken, wischt den Wasserdampf vom Spiegel, und da erscheint er wieder, Bernhard und nicht Wilhelm Glaser. Mit schmaleren Schultern, weicherem Mund und vollerem Haar. Den kleinen Leberfleck über der rechten Augenbraue hat er von der Mutter geerbt, die in seinem Kopf nur noch als Schemen geistert. Eine körperlose Stimme. Mariechen saß weinend im Garten, summt er und lässt sich mit einem tiefen Seufzer in die Wanne rutschen, dass es überschwappt.
    Da liegt er nun, die Flasche außer Reichweite. Das schafft er irgendwie nie, an die kühle Bierflasche in Reichweite der heißen Wanne zu denken, obwohl doch sein ganzes Sehnen auf diesen Moment gerichtet ist. Auch Elisas Brief liegt jetzt außer Reichweite, aber das ist kein Versehen. Bernhard lässt sich tief ins Wasser sinken, bis nur noch der Kopf aus dem Schaum herausragt, und denkt an Elisa aus Merseburg und daran, dass er beim Pressefest für einen kurzen Moment geglaubt hatte, da stünde seine Elsa. Mit dem Rücken zu ihm, in dem ärmellosen Kleid, so groß wie Elsa und mit halblangem, hellbraunem Haar stand sie da, die Frau, und redete mit jemandem aus der Berlinabteilung. Und er dachte, Elsa, wie kommst du denn hierher, pirschte sich heran und sah, dass es nicht mehr als ein kleiner Irrtum oder ein großer Wunsch gewesen war. Von der Seite gesehen hörte es schnell auf mit der Ähnlichkeit. Trotzdem musste sie bemerkt haben, dass da irgendetwas war bei ihm, ein Wiedererkennen oder eine Sehnsucht, denn sie schickte ein kleines Lächeln herüber und zwinkerte ihm zu. Das war ihm in seinem Leben noch nicht passiert, dass ihm eine Frau zuzwinkert, und brachte ihn schön aus der Fassung. Er starrte die Frau an, nicht mit offenem Mund, aber wahrscheinlich nicht weniger dümmlich,und als er weiterziehen wollte, um seine Ehre halbwegs zu retten, schlenderte sie geradewegs auf ihn zu und sagte: »Haben wir uns nicht schon mal irgendwo gesehen?« Da musste er laut lachen und sagte: »Leider nicht, aber Sie sehen einer Frau ähnlich, die ich sehr gut kenne«, und dachte im gleichen Moment, was bist du für ein Vollidiot, jetzt wird sie dich in festen Händen vermuten

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