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Torte mit Staebchen

Torte mit Staebchen

Titel: Torte mit Staebchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Hornfeck
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gebracht hatten, wo dieser, wie Ruth Inge erzählte, furchtbar unter dem Klima litt. Ruth sollte in der SJY A-School Englisch lernen und anschließend auf eine Privatschule gehen. Die Familie wohnte in einem Anwesen in der Französischen Konzession, das auch Frau Schwab für akzeptabel gehalten hatte: großes Haus im englischen Tudor-Stil, parkartiger Garten und jede Menge Dienstboten.
    Einmal war Inge dort zum Geburtstag eingeladen gewesen. Inge, die im Mai zu ihrem elften Geburtstag selbst keine Feier gehabt hatte, freute sich riesig.
    »Was kann ich denn mitbringen?«, fragte sie die Mutter, die gemäß ihrem Motto »Wer weiß, was noch kommt«, auch weiterhin das Haushaltsgeld mit strenger Hand verwaltete.
    »Frag doch deinen Vater, ob er ein paar Nusshörnchen extra backen kann.«
    Also war Inge im Sonntagsstaat und mit ihrem Kuchenpaket bei den Reimanns erschienen. Ruth nahm Inges Gratulation und das Päckchen huldvoll entgegen. Neugierig riss sie es auf und starrte dann enttäuscht und voller Verachtung auf die Nusshörnchen.
    »Aber davon haben wir doch schon jede Menge!«, sagte sie und deutete auf ein riesiges Kuchenbuffet,das am Ende des großen Wohnzimmers aufgebaut war.
    Inge stieg die Schamröte ins Gesicht. »Tut mir leid«, murmelte sie.
    Für den Rest des Nachmittags wurde sie von ihrer Gastgeberin ignoriert. Am meisten ärgerte Inge sich später, dass sie sich für ihr Geschenk entschuldigt hatte. Das war das Ende einer noch nicht begonnenen Freundschaft. Zum Glück war Ruth kurz danach auf eine Privatschule übergewechselt.
     
    Und auch Inges Schultage an der Seymour Road waren bereits wieder gezählt, kaum dass sie angefangen hatten. Im Lauf des Jahres waren so viele jüdische Flüchtlinge in Schanghai angekommen, dass die SJY A-School inzwischen aus allen Nähten platzte. Im Juni, zu Schuljahrsende, bekam Inge einen Zettel mit nach Hause:
    »An alle Eltern:
    Aus Platzmangel wird die SJY A-School zu Schuljahrsbeginn ein neues Gebäude an der Kinchow Road im Stadtteil Hongkou beziehen.«
    »Warum denn ausgerechnet in Hongkou«, war Frau Finkelsteins erste Reaktion; sie hatte diesen Stadtteil in denkbar schlechter Erinnerung.
    »Weil die meisten der nach uns angekommenen Juden sich dort angesiedelt haben. Für die Stadt ist das nur gut, denn so werden auf billige Weise die von den Japanern zerbombten Viertel wieder aufgebaut«, erklärte der Vater
    »Und wie kommt das Kind da jeden Tag hin?«, wollte die Mutter wissen.
    »Mit der Straßenbahn«, erwiderte Inge trocken. Ihr Schulweg würde von nun an zwar länger, aber dafür auch interessanter sein.
    Doch jetzt waren erst mal Sommerferien. Sie begannen Anfang Juli im Jahresabschnitt der »Kleinen Hitze«, die sich in der zweiten Monatshälfte zur »Großen Hitze« steigerte, um dann in der »Tigerhitze« des Frühherbstes zu kulminieren. Wie Inge von Frühlingserwachen gelernt hatte, teilten die Chinesen das Jahr nicht nur in Jahreszeiten und Monate, sondern zusätzlich noch in
jiéqi
– Abschnitte von jeweils vierzehn Tagen, für die es lustige Namen und genaue Verhaltensmaßregeln gab. Sanmaos Mutter war eine unerschöpfliche Quelle für Hausmittel und gute Ratschläge. An besonders heißen Tagen kochte sie wässrige süße Suppe aus getrockneten grünen Böhnchen und glibberigen weißen Baumpilzen, die sie Inge und Sanmao lauwarm servierte. Sie verbot ihnen den Genuss kalter Getränke und ließ Inge wissen, dass sie Laifu am 6.   Tag des 6.   Mondmonats waschen solle. Hunde oder Katzen, die man an diesem Tag, dem Geburtstag der Sonne, wusch, blieben das ganze Jahr über sauber und frei von Ungeziefer. Inge nahm sich das fest vor   – schon um die ewigen Klagen ihrer Mutter zu entkräften   – und stellte bereits am Morgen eine Blechwanne im Hof bereit. Doch als chinesischer Kater schien auch Laifu dieses Datum zu kennen und ließ sich den ganzen Tag nicht blicken.
    Im Hochsommer konnte Schanghai zu einem wahren Glutofen werden; das Thermometer kletterte auf Temperaturen von vierzig Grad und mehr, und diehohe Luftfeuchtigkeit machte die Hitze noch unerträglicher. Inge erwachte morgens davon, dass ihr der Schweiß in die Ohren rann. Auf Anraten von Frühlingserwachen schlief sie jetzt statt auf einem Leintuch auf einer Bambusmatte, die sich kühler anfühlte. Inge tat der Vater in seiner Backstube leid, wo wegen der Kuchen, Torten und Strudel der Backofen trotz Hitze eingeheizt werden musste. Sehnsüchtig dachte sie an die langen

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