Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Torte mit Staebchen

Torte mit Staebchen

Titel: Torte mit Staebchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Hornfeck
Vom Netzwerk:
Badenachmittage im Havelbad oder an den Pool auf der »Conte Biancamano« zurück. Solche Freizeitangebote gab es in Schanghai nicht. Zumindest nicht für Kinder wie Inge und Sanmao.
    Eines Tages erwachte Inge mit roten Pusteln an Bauch und Hals.
    »Mama, mich juckt’s überall, und ich hab so komische rote Flecken.«
    Frau Finkelstein besah sich ihre Tochter genau und rief entsetzt: »O Gott, jetzt kriegt das Kind auch noch die Windpocken!«
    Frühlingserwachen wurde zurate gezogen und konnte die Mutter beruhigen: »Das kommt von feucht und heiß. Puder hilft. Wenn trocken, dann nicht juckt.« So machte Inge schließlich doch noch Bekanntschaft mit dem Frieselausschlag.
     
    Immerhin boten die Platanen, die mit ihren belaubten Ästen die gesamte Straßenbreite überspannten, einen kühlen, schützenden Schattenraum, aber heiß war es trotzdem. Ideales Wetter zum Brikettsbacken. Sanmao und Inge waren gerade dabei, Kohlebriketts für die Backstube zu formen, als Inge plötzlich lauschend denKopf hob. »Oh du schöhöhöner Wehehesterwald!«, drang es von der Straße herein, ein flotter Trommelwirbel folgte.
    »Hörst du das? Da singt jemand deutsche Lieder.« Und schon rannte sie durch die Toreinfahrt, Sanmao hinterher. Eine Kolonne Jungen und Mädchen in der Kluft der Hitlerjugend, die Inge nur allzu gut kannte, marschierte am Straßenrand singend hinter einer Hakenkreuzfahne her. Inge war sprachlos. Die HJ? Mitten in Schanghai?
    »Die sind von der Kaiser-Wilhelm-Schule. Sie kommen jedes Jahr hier durch, wenn sie in ihr Sommerlager in die Mogan-Berge ausrücken«, erklärte Sanmao, der ihr Entsetzen bemerkt hatte.
    »Und was machen die dort?«
    »Ach, irgendwelche Gelände- und Kriegsspielchen. Stell ich mir ziemlich doof vor, besonders bei der Hitze. Nicht dass die einen wie mich da mitmachen lassen würden.«
    »He, den kenne ich!« Inge zeigte mit schwarzen Kohlefingern auf einen dicklichen Jungen mit runder Brille. »Das ist Rüdiger, Rüdiger Schwab. Der war mit uns auf dem Schiff.«
    Der Junge beachtete das blonde Mädchen nicht, das in chinesischer Kleidung und rußverschmiertem Gesicht am Straßenrand stand. Sein braunes Hemd hatte dunkle Schwitzflecke, und schon jetzt konnte er kaum mit den anderen Schritt halten.
    Inge starrte dem Trupp nach, wie er zwischen den bunten chinesischen Ladenschildern der Bubbling Well Road entschwand. Das war wirklich das Letzte,was sie hier erwartet hatte. Dann fiel ihr die Hakenkreuzfahne ein, die ihren Vater bei der Landung so aus der Fassung gebracht hatte.
    »Hoffentlich hat mein Vater das nicht mitgekriegt«, murmelte sie vor sich hin.
    »Tja, es gibt eben solche und solche Deutsche in Schanghai.«
    »Und wir sind solche«, beendete Inge das Thema.
    ***
    »Du verwilderst uns noch ganz«, beklagte sich Frau Finkelstein. Auch wenn es praktisch war, dass Inge immer besser Chinesisch sprach und sich gut in der Stadt auskannte, so hatte ihre Mutter das Gefühl, dass die Tochter ihr immer mehr entglitt. Während die Ferien fortschritten, gewann der chinesische Teil von Inges Doppelleben eindeutig die Oberhand. Sie war ausschließlich in weiten Dreiviertelhosen, luftigen Leibchen und Holzpantinen unterwegs   – chinesische Kleidung, die in der Hitze viel bequemer war   –, und beim Essen musste man sie daran erinnern, dass sie sich nicht an einer Imbissbude befand.
    »Man zeigt durch Schmatzen und Rülpsen, dass einem das Essen schmeckt«, verteidigte sich Inge.
    »Aber nicht an meinem Tisch, Inge«, verwies sie der Vater streng.
    Die Eltern waren nicht in der Lage, ihre Tochter zu beaufsichtigen und hatten keine Ahnung, wo sie sich herumtrieb. Herr Finkelstein stand von morgens bis abends in der Backstube, und seine Frau hatte mit ihrerNähmaschine eine kleine Änderungsschneiderei angefangen, für die sie am Anschlagbrett im Café der Fiedlers Werbung machte. »Wie gut, dass ich meine alte Singer mitgenommen habe«, sagte sie oft, dann zwinkerten Mutter und Tochter sich zu. »Ma Signora«, parodierte Inge Paolos Entsetzen, »Sie haben Steine in Koffer?« Die Geschäftsidee war ihr beim Abändern und Ausbessern von Inges Kleidung gekommen, wo es an Säumen und Ärmeln ständig etwas anzustückeln gab.
     
    So heiß und unerträglich die Tage sein konnten, so angenehm waren die warmen Abende. Und die hielten eine ganz besondere Attraktion bereit: Das Freiluftkino im »Burlington«.
    Das bekannte »Uptown Theater« war zwar gleich um die Ecke, allerdings hatte Inge dort ein

Weitere Kostenlose Bücher