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Torte mit Staebchen

Torte mit Staebchen

Titel: Torte mit Staebchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Hornfeck
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Inge richtig.
    »Trotzdem, ich finde, wir sollten Frau Fiedler nicht noch mehr Arbeit machen«, entgegnete die deutsche Hausfrau.
    »Ihr seid unmöglich!« Inge konnte kaum noch an sich halten. »Wenn wir die Einladung nicht annehmen, verlieren die Fiedlers ihr Gesicht.«
    »Was sind denn das nun wieder für chinesische Ideen, Inge?«, fragte ihre Mutter.
    »Welche, die ihr offenbar nicht versteht«, antwortete Inge patzig. Dass die aber auch nichts kapiertenund kein bisschen neugierig oder unternehmungslustig waren! Es war wirklich zum Verzweifeln. Irgendwie musste sie ihrer Enttäuschung Luft machen, auch wenn es ungehörig war. »Wenn ihr so weitermacht, werdet ihr nie in China ankommen. Ich gehe jedenfalls hin. Sanmao ist mein Freund, mein einziger Freund hier, und ich will seine Einladung auf keinen Fall ablehnen.« Ihren anderen Freund, Max vom Schiff, hatte sie im großen Schanghai aus den Augen verloren.
    Die Entschlossenheit der Tochter machte die Eltern ratlos; Hilfe suchend sahen sie einander an, dann sagte Frau Finkelstein: »Na gut, dann gehst du eben allein. Vielleicht ist das gar keine schlechte Lösung. Wir wollen ja nicht unhöflich sein. Du bist unsere Vertreterin und wahrst unser Gesicht.«
     
    In den Tagen vor dem Fest ging es in der Markthalle noch geschäftiger zu als sonst. Inge hätte eine Steigerung eigentlich kaum für möglich gehalten, aber zu Neujahr würden   – das einzige Mal im Jahr   – auch die chinesischen Hausangestellten freihaben und zu ihren Familien aufs Land zurückkehren. Deshalb mussten sie entsprechend viel einkaufen und vorkochen, damit ihre Herrschaft über die Feiertage nicht verhungerte.
    Am Samstag hallte schon am Nachmittag das Krachen vereinzelter Feuerwerkskörper durch die Straßen. Freudige Erwartung lag in der Luft. Diesmal hatte auch Inge sich »in Schale« geworfen. Blauer Faltenrock, weiße Bluse unterm Strickpullover, derimmerhin ein klein bisschen rot war, wie es sich für das Fest gehörte. Die Familie hatte lange beratschlagt, was Inge als Geschenk mitbringen sollte, und sich schließlich auf eine Flasche Maotai geeinigt, einen höllisch starken Hirseschnaps, den, wie Inge von ihrem Tempelbesuch wusste, auch die Verstorbenen schätzten. Denn um die ging es an diesem Abend hauptsächlich. Sanmao hatte ihr erklärt, dass in China das Geschick der Lebenden vom Wohlwollen der Toten abhing. Man dankte den Ahnen in der Zeremonie des
xiè tiān
für ihren Schutz während des vergangenen Jahres und erbat ihn auch für das kommende.
    Frühlingserwachen hatte die kalligraphierten Spruchbänder über dem Eingang, die im Lauf des Jahres verblichen waren, durch neue, leuchtend rote Papierstreifen ersetzt. Rote Lampions schaukelten über der Tür.
    Andächtig stieg Inge mit ihrer Flasche die Treppe zum Wohnzimmer der Fiedlers hinauf. Oben stand Sanmao, den sie beinahe nicht erkannt hätte. Heute war er richtig chinesisch; er trug das lange, seitlich geknöpfte traditionelle Männergewand aus dunkelblauer Seide und hatte seinen widerspenstigen Haarschopf gescheitelt und mit Pomade gebändigt. Auch Herr Fiedler begrüßte sie herzlich; er war westlich gekleidet, hatte aber zur Feier des Tages seinen »Stresemann« mit der schwarz-grau gestreiften Hose angelegt, dazu trug er eine silbrig schillernde Krawatte mit Krawattennadel.
    »Schön, dass du kommst, Inge«, lachte er ihr entgegen, seine roten Bäckchen glühten. »Da fühle ichmich nicht so unterlegen in meiner chinesischen Familie. Wir müssen nämlich erst den Ahnenkult absolvieren, bevor ’s was zu essen gibt. Die Verstorbenen haben Vorrang.«
    »Du nicht spotten,
háizi de dīe.
«, schalt Frau Fiedler ihren Mann. »Wir vielleicht nicht gut sorgen für dich,
duì bu duì?
« Inge kannte diese Frageformel aus ihrem Unterricht mit Ina. Und natürlich beeilte sich Herr Fiedler, die Frage zu bestätigen: »
Duì, duì, duì
.« Selbstverständlich war hier für Lebende und Tote bestens gesorgt.
    Frühlingserwachen hatte Inge unter wortreichem Dank und mit der Beteuerung, das sei doch »absolut nicht nötig« und »wirklich viel zu höflich«, die Flasche abgenommen und drückte dem Gast nun ihrerseits ein Paket in die Hand.
    »Hier, für dich. In China zu Neujahr alle Kinder bekommen neue Anziehsachen, weil alle haben heute Geburtstag.«
    »Was, ich hab heute Geburtstag?«, fragte Inge angenehm überrascht.
    »Genau, Yatou, heute wirst du ein Jahr älter«, erklärte Sanmao augenzwinkernd. Er wusste genau, wie

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