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Torte mit Staebchen

Torte mit Staebchen

Titel: Torte mit Staebchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Hornfeck
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doppeltes Handicap: Bei den neuesten Hollywood-Streifen und chinesischen Produktionen fiel sie deutlich sichtbar unter die Altersgrenze, außerdem rückte Frau Finkelstein natürlich kein Eintrittsgeld heraus.
    Doch Sanmao hatte eine Idee, wie sich beides umgehen ließ.
    »Im ›Burlington‹ werden im Sommer freitags Filme für die Gäste gezeigt, draußen im Garten«, erläuterte er seinen Plan. »Ich hab mir immer schon überlegt, wie ich da reinkommen könnte, hab’s aber nie geschafft, die Mauern sind hoch und mit Glasscherben gesichert. Aber mit dir könnte es klappen. Wir tun einfach so, als ob wir Hausgäste wären. Du wohnst dort, und ich bin dein Schanghaier Cousin, der dich im Hotel besucht. Wir gehen ganz selbstverständlichan der Rezeption vorbei und durch den Salon mit den großen Sesseln bis auf die rückwärtige Terrasse. Dann verkrümeln wir uns irgendwo im Garten. Am besten, wenn der Film schon angefangen hat, dann bemerken sie uns nicht.«
    Inge war begeistert; endlich war sie mal nicht nur »die Kleine«, das gnädig geduldete Anhängsel, sondern übernahm bei den gemeinsamen Unternehmungen eine tragende Rolle. Zunächst galt es jedoch, Mutters Einwände gegen solche abendlichen Ausflüge (in die Einzelheiten war sie ohnehin nicht eingeweiht) zu entkräften. Inge war entschlossen, sich ihr Abenteuer nicht schon verderben zu lassen, bevor es angefangen hatte.
    »Englische Filme sind eine sehr gute Verständnisübung«, argumentierte sie. »Du willst doch nicht, dass ich über die Ferien mein Englisch wieder vergesse, oder? Wie soll ich denn sonst im Herbst in der neuen Klasse mitkommen?«
    Dagegen konnte Frau Finkelstein nichts einwenden. »Aber nach dem Film kommt ihr sofort nach Hause, hörst du?« Der Anschein elterlicher Autorität musste immerhin gewahrt bleiben.
    Nach dem Abendessen verwandelte Inge sich mittels blauem Faltenrock und weißer Bluse zurück in eine gesittete »Langnase« und zog mit Sanmao los. Als sie die Lobby des Hotels durchquerten, grüßte sie lässig zu dem englischen Empfangschef hinüber, der ihnen freundlich zunickte. Dann schlenderten sie weiter auf die Terrasse.
    Sanmao knuffte sie triumphierend in die Seite, alssie die Veranda überquert hatten und sich im Schutz eines Baums an der Gartenmauer niederließen   – mit bester Aussicht auf die Leinwand. »Das ist mindestens erster Rang.«
    Und es war viel mehr als das. Grillen wetteiferten mit den ersten Takten der Filmmusik, auf der Terrasse klimperten die Eiswürfel in den Drinks der Hotelgäste, und die feuchte Wärme des Abends umhüllte sie wie eine Decke. Sanmao zog eine Tüte mit Keksbruch aus der Tasche. Er dachte einfach an alles. Inge lehnte den Rücken genüsslich an die kühle Gartenmauer und war rundum zufrieden mit ihrem Platz zwischen den Sprachen, Ländern und Kulturen. Dann ließen sie sich vom Klamauk auf der Leinwand nach Amerika entführen, wo Katharine Hepburn und Cary Grant sich in »Leoparden küsst man nicht« allmählich näherkamen.
    Im Lauf des Sommers wurden die Abende im »Burlington« zur festen Einrichtung. Längst kannte der Empfangschef das ungleiche Paar, das eindeutig nicht zu den Hotelgästen gehörte, aber immer betont selbstbewusst durch die Lobby stolzierte, wenn eine Filmvorführung angekündigt war. Gutmütig spielte er das Spiel der beiden mit, indem er sie mit ausgesuchter Höflichkeit grüßte. Mittlerweile richteten es die beiden so ein, dass sie rechtzeitig zu den »Fox Movietone News« kamen, der aktuellen Wochenschau, die vor dem Film gezeigt wurde. Ganz aktuell war die meist nicht, aber das störte hier niemanden; die Schanghailänder waren ihrer Zeit ohnehin voraus.
    Eines Abends   – Inge und Sanmao hatten ihrenStammplatz bereits eingenommen   – sah Inge in der Wochenschau, wie aufgeregte Leute sich um einen Zeitungsmann drängten und ihm die Zeitungen aus der Hand rissen. »Britain declares War on Germany« lautete die dicke schwarze Überschrift. Das war zwar nicht das Vokabular, das man im Kindergarten lernte, doch Inge begriff sofort. Auf der Leinwand sah man jetzt Männer vor dem Armeehauptquartier Schlange stehen   – offenbar wollten sie Soldaten werden.
    Plötzlich durchfuhr Inge die Erkenntnis, dass diese Nachricht von der anderen Seite des Globus sie ganz unmittelbar betraf. »Sanmao, die machen Krieg!«, stieß sie entsetzt hervor. »Krieg gegen Hitler, gegen uns!«
    Ihr Freund sah sie verständnislos an. Als Schanghaier konnte er den Abgrund, der

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