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Torte mit Staebchen

Torte mit Staebchen

Titel: Torte mit Staebchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Hornfeck
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    »Das machen wir jetzt gleich noch mal, damit du siehst, was du falsch gemacht hast.«
    Sie stellten sich in Grundstellung auf. Inge wusste sehr wohl, was sie falsch gemacht hatte. Aber sie wusste jetzt auch, wie schön es war, mit Sanmao im Gras zu liegen und seinen schweren, warmen Körper auf dem ihren zu spüren.
    Als er sein Manöver wiederholte, reagierte sie absichtlich ebenso falsch wie beim ersten Mal. Wiederfielen beide ins Gras. Diesmal blieb auch Sanmao ein bisschen länger liegen, scheinbar resigniert ob seiner ungelehrigen Schülerin.
    »Du bist hoffnungslos, Yatou«, sagte er schließlich. Das hatte er schon lange nicht mehr zu ihr gesagt. Er benutzte den Spitznamen immer dann, wenn er signalisieren wollte, wie klein und dumm sie doch war. Aber diesmal klang es nicht sehr überzeugend.
    ***
    Schneller als Inge sich das wünschte, kam der klammfeucht-kalte Schanghaier Winter. Eines Nachmittags Ende November fuhr Inge wie gewohnt von der Schule nach Hause. Auf ihrem Stammplatz auf der Außenplattform war es jetzt ziemlich ungemütlich, aber er bot nach wie vor den besten Ausblick. Sie hatten eben die Rennbahn hinter sich gelassen und waren in die Bubbling Well Road eingebogen, als Inge bemerkte, dass sich am Straßenrand eine dichte Menschenmenge versammelt hatte. Plötzlich hörte sie den unverkennbaren Sound der Band des Fourth U.   S.   Marine Corps. Was war da los?
    Sie kannte diesen Klang genau. Das Musikcorps war genau an der Ecke von Seymour Road und Sinza Road stationiert, genau gegenüber ihrer alten Schule. Sie waren also praktisch Nachbarn gewesen. Zu Kindergartenzeiten hatte Inge oft durch den Zaun gespäht, wenn die Marines auf dem Gelände übten. Am besten gefiel ihr das Sousaphon mit seinem riesigenSchalltrichter, der über dem Kopf des Spielers schwebte und einen vibrierenden Klang hervorbrachte, der einem direkt ins Rückenmark ging. Die Konzerte, die das Musikcorps im Anschluss an den sonntäglichen Militärgottesdienst im »Embassy Theatre«, ein anderes großes Kino an der Bubbling Well Road, gab, waren stadtbekannt und bei Westlern wie Chinesen gleichermaßen beliebt. Aber heute war Freitag und nicht Sonntag!
    Bei dem langsamen Tempo, mit dem sich die Bahn durch die überfüllte Straße quälte, brauchte Inge die nächste Haltestelle nicht abzuwarten. Kurz entschlossen sprang sie ab und stellte sich zuvorderst in die Reihe der Schaulustigen. Tatsächlich kam aus der Gegenrichtung die Militärkapelle anmarschiert, gefolgt von einem Bataillon mit schwerem Gepäck. Auf den Rucksäcken der Soldaten waren Pfadfinderhüte befestigt, über der linken Schulter trugen sie ihr Gewehr. Die Kolonne marschierte in Richtung Nanking Road und Bund, allen voran der Tambourmajor, der den nachfolgenden Musikern mit seinem langen Stab die Einsätze gab.
    Doch die rhythmische Marschmusik, die Inge sonst immer in gute Laune versetzte, hinterließ dieses Mal ein ungutes Gefühl. Wohin gingen die Soldaten? Wie von der Melodie des Rattenfängers angezogen, folgte Inge, ohne zu überlegen, der Marschkolonne und machte ihren Schulweg noch einmal rückwärts bis zum Bund. Dort war die Menschenmenge noch dichter. Auf dem Platz vor den President Line Docks parkten die schwarzen Limousinen der diplomatischenVertretungen, die Inge an ihren Nationalflaggen erkannte. Auf dem Huangpu lagen zwei amerikanische Truppentransporter vor Anker: die »SS President Madison«, von der bereits Soldaten herüberwinkten, und die »SS President Harrison«, auf die das Erste Bataillon samt Musikcorps gerade mit Barkassen eingeschifft wurde. Inge nahm ihren ganzen Mut zusammen, spurtete los und fiel in Gleichschritt mit dem Pauker, der am Ende der Kapelle ging und weniger zu tun hatte als die anderen Instrumentalisten.
    »Where do you go?«, fragte sie atemlos.
    »To the Philippines.«
    »Are you coming back?«
    »Don’t know.«
    Jetzt war ihr erst recht beklommen zumute. Was hatte es zu bedeuten, dass die amerikanischen Soldaten, die zusammen mit den Engländern die Schutzmacht des International Settlement bildeten, die Stadt verließen? Irgendwas stimmte hier nicht. Inge wollte dieses bedrückende Schauspiel nicht länger mitansehen. Sie machte auf dem Absatz kehrt und nahm die nächste Tram nach Hause. Die Menge hatte sich mittlerweile verlaufen. Das letzte Stück legte sie im Laufschritt zurück, dennoch war sie natürlich viel zu spät dran. Herr Finkelstein hatte bereits Feierabend, und die Eltern warteten schon

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