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Torte mit Staebchen

Torte mit Staebchen

Titel: Torte mit Staebchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Hornfeck
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messen konnte. Eine Mutter, die beschäftigt war, würde sich wenigstens nicht in ihr Leben einmischen.
     
    Obwohl Inge sich weigerte, das ihr aufgedrängte neue Kleidungsstück aktiv anzupreisen, wurde es natürlichin der Umkleide vor der nächsten Turnstunde sofort registriert.
    »Was hast du denn an?« Alle starrten auf Inge, die versuchte, sich rasch ihr Turnhemd über den Kopf zu ziehen.
    »Nicht gerade sexy«, bemerkte die kurvenreiche Esther. Aber was war schon von einem deutschen Trampel zu erwarten, der in Männerstiefeln herumlief.
    »Deutsche Maßarbeit«, kicherte eine andere. Doch der Spott verebbte bald, da das Problem alle anging und keine Lösung in Sicht war. Selbst den sündteuren Wäschegeschäften im International Settlement ging allmählich der Nachschub aus.
    »Lass doch mal sehen.« Eine Mitschülerin schob das Turnhemd wieder hoch und Inge ließ sich widerwillig bestaunen.
    »Hmm, der hat jede Menge Abnäher, ist tatsächlich Maßarbeit«, bemerkte eine Mitschülerin sachkundig, »Wer hat dir den genäht?«
    »Meine Mutter.«
    »Meinst du, die würde für mich auch so einen machen?« Plötzlich war es Esther, bei der das B H-Problem besonders hervorstechend war, ganz ernst.
    »Ich kann sie ja mal fragen«, erwiderte Inge einsilbig. Das hatte sie nun davon. Sie war auf dem besten Wege, tatsächlich zur Unterwäschevertreterin zu werden.
    Mit gemischten Gefühlen berichtete sie der Mutter von der Reaktion ihrer Mitschülerinnen. Einerseits genoss sie deren plötzliche Aufmerksamkeit, undüber Aufträge für die Mutter musste man schließlich auch froh sein.
    »Aber ich will auf keinen Fall, dass die hier alle anrücken«, insistierte sie.
    »Ich kann dir ja zeigen, wie man Maß nimmt. Du nimmst ein Maßband mit in die Schule und schreibst mir alle nötigen Angaben auf einen Zettel.«
    »Igitt, da muss ich denen ja an ihren dicken Busen fassen.«
    Aber am Ende siegte Inges Sinn fürs Praktische, die Bestellungen gingen ein und die BHs gingen raus wie warme Semmeln. Sanmao erzählte sie natürlich nichts von diesem neuen Geschäftszweig.
    ***
    Was Inge und Sanmao in diesem Pferdesommer am meisten schmerzte, war die Tatsache, dass das »Burlington« den Betrieb seines Freiluftkinos nicht wieder aufgenommen hatte; es mangelte sowohl an Hausgästen wie am Nachschub neuer Filme. Die Besatzer hatten sämtliche Hollywoodproduktionen aus den Lichtspieltheatern der Stadt verbannt. Dafür lief in den Kinos neben japanischen Filmen immer wieder »Olympia 1936«, ein Film über die Olympischen Spiele, den eine Deutsche gedreht hatte. Inge überredete Sanmao, mit ihr hinzugehen. Natürlich durften die Eltern nicht wissen, dass ihre Tochter kostbares Geld für einen Propagandastreifen ausgab, der Hitler bei der Eröffnung der Spiele zeigte, und für eine Wochenschau, in der die Siege der Achsenmächte inEuropa und im pazifischen Raum gefeiert wurden. Aber so genau wussten die ohnehin nicht, was ihre Tochter den ganzen Tag trieb.
    Genüsslich ließ Inge sich neben Sanmao in einen der gepolsterten Sitze des »Majestic« sinken. Dass sie sich den Hals verrenken mussten, weil es die allerbilligsten ganz vorne waren, machte ihr nichts aus. Dafür bekam man hier keine juckenden Moskitostiche wie im Garten des »Burlington«.
    Mit einer Mischung aus Heimweh und Abscheu starrte Inge auf die perfekt inszenierten Bilder aus ihrer einstigen Heimat. Die Massen, die dem Führer im Berliner Olympiastadion zujubelten, jagten ihr Gänsehaut über den Rücken. Als dann auf der Leinwand der U S-Amerikaner Jesse Owens seinen souveränen Sieg über einhundert Meter lief, brach das überwiegend chinesische Publikum in Schanghai seinerseits in spontanen Jubel aus.
    Erschrocken griff Inge im Dunkeln nach Sanmaos Hand.
    »Ist das nicht gefährlich?«, raunte sie zu ihm hinüber. Schließlich war dieser Mann ein »Number-one-enemy-national« und ein Schwarzer dazu.
    Ängstlich drehte sie sich zu dem japanischen Wachtposten um, der an der Tür stand. Wie in allen öffentlichen Gebäuden Schanghais war auch in den Lichtspieltheatern japanisches Militär präsent. Doch die Provokation dauerte nur Sekunden und konnte ebenso gut als Anerkennung für eine herausragende sportliche Leistung gewertet werden. Der Posten reagierte nicht.
    Inge und Sanmao atmeten erleichtert durch und tauschten einverständliche Blicke. Das Gute an Sanmao war, dass man ihm nichts erklären musste. Für Situationen, in denen es um die Spannungen zwischen

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