Torte mit Staebchen
Gegenteil. Was also war er dann?
Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie allein im Zimmer stand. Sie war so sehr in ihre Gedanken vertieft, dass sie gar nicht registriert hatte, wie die Mutter mit dem Zettel zum Vater in die Backstube gelaufen war. Jetzt hörte sie die beiden die Treppe heraufkommen.
»Die sperren uns in ein Ghetto. Das Wort Jude haben sie zwar geflissentlich vermieden und reden stattdessen von staatenlosen Flüchtlingen, aber genau das ist es doch – ein Ghetto für die Juden! Was wird dann aus meiner Arbeit hier?«, hörte sie die erregte Stimme des Vaters. »Immerhin können sie dich und Inge nicht einsperren, und das Kind hat einen kürzeren Schulweg.«
Trotz allem musste Inge lächeln. Das war wieder mal typisch Finkelstein: Jeder hatte an den eigenen Verlusten zu knabbern, versuchte aber gleichzeitig, die anderen zu trösten. Einer hielt den Kopf immer oben.
***
Einige Tage später bekamen die Finkelsteins schon wieder Post. Diesmal war es ein offizieller Umschlagmit dem Deutschen Reichsadler, adressiert an Frau Marianne Finkelstein. Sie wurde aufs Generalkonsulat einbestellt.
»Was wollen die denn von mir? Bisher haben sie sich doch auch nicht um mich gekümmert«, wunderte sie sich.
Eine Antwort auf diese Frage war allerdings nur zu bekommen, indem sie der Einladung nachkam. Da Frau Finkelstein kaum aus dem Haus ging – eine Angewohnheit, die sie aus der Zeit ihrer anfänglichen Depression beibehalten hatte – bat sie ihre Tochter, sie zu begleiten.
»Du kennst dich besser aus in der Stadt, Inge. Soviel ich weiß, liegt das Konsulat irgendwo am Bund.« Frau Finkelstein erinnerte sich noch lebhaft an den Schock, den die Hakenkreuzfahne ihrem Mann bei er Ankunft versetzt hatte.
»Ja, im Glen Line Building. Da fahr ich jeden Tag auf dem Schulweg dran vorbei. Wir nehmen die Tram und steigen am Park vor der Garden Bridge aus. Wann musst du denn hin? Morgen früh?« Inge witterte sofort eine Möglichkeit, der ungeliebten Schule für einen Tag zu entkommen. Ihre Mutter hatte ausnahmsweise nichts dagegen.
Am nächsten Morgen warf sich Frau Finkelstein wieder mal »in Schale«: graues Tweedkostüm – diesmal, jahreszeitlich bedingt, mit kleinem Pelzkrägelchen –, ihr letztes Paar Seidenstrümpfe – mehrfach ausgebessert –, dazu die hochhackigen Pumps, die sonst immer geschont wurden.
Nach einem prüfenden Blick in den Spiegel schobsie entschlossen das Kinn vor. Jetzt fühlte sie sich der unbekannten Herausforderung gewachsen.
»Nicht so schnell, Inge.« Frau Finkelstein kam auf ihren hohen Absätzen der Tochter kaum hinterher, die in Männerstiefeln den gewohnten Weg zur Straßenbahnhaltestelle entlangtrabte.
Als sie am Bund anlangten und durch das imposante Portal mit den grauen Granitsäulen traten, kam ihnen eine Gruppe Männer entgegen: Deutsche in feldgrauem Tuch und japanische Offiziere in senfgelber Uniform.
Einer der Deutschen, mit Schirmmütze und Hakenkreuz-Armbinde, hielt ihnen galant den schweren Türflügel auf. Gleich darauf standen Mutter und Tochter in einem prächtigen, ganz mit Marmor verkleideten Foyer.
»Du kommst am besten mit, schließlich stehst du mit in meinem Pass«, sagte Frau Finkelstein. Inge spürte, wie nervös die Mutter war; vermutlich war es ihr lieber, nicht allein in dieses Büro gehen zu müssen.
Unter einem riesigen Kristalllüster blieben sie stehen und sahen sich suchend um. Ein Beamter, der mit einer Akte aus einem der Gänge kam, fragte höflich nach ihrem Anliegen und wies ihnen den Weg zum Amtszimmer des Botschaftssekretärs. Frau Finkelstein atmete noch einmal hörbar durch, dann trat sie forsch ein, Inge folgte.
»Guten Morgen.«
»Heil Hitler! Was kann ich für Sie tun?«, begrüßte sie ein Mann mit militärisch kurzem Haarschnitt. Ingewarf einen abschätzigen Blick auf das junge Milchgesicht. Auch so einer. Außerdem stand inzwischen für sie fest, dass sie nur dunkelhaarige Männer attraktiv fand.
»Das müssen Sie mir sagen. Ich habe dieses Schreiben hier von Ihnen bekommen.« Frau Finkelstein reichte ihm den Brief über den Schreibtisch.
»Ach ja, das betrifft die Umsiedelung der nach 1937 angekommenen Staatenlosen in den Stadtteil Hongkou. Aber so nehmen Sie doch Platz, gnädige Frau. Sie als deutschblütige Staatsbürgerin fallen natürlich nicht unter diese Regelung. Ebenso wenig Ihr Fräulein Tochter.« Dabei lächelte er Inge zu, die betont interessiert aus dem Fenster sah.
»Sie meinen, dass ich
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