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Torte mit Staebchen

Torte mit Staebchen

Titel: Torte mit Staebchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Hornfeck
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ihrem Vater los; Frau Finkelstein hatte sich in das Unvermeidliche geschickt, war aber nicht bereit, das Haus zu verlassen.
    »Ich muss mir diese Hütten noch früh genug von innen ansehen. Keinen Augenblick früher als nötig gehe ich da hin«, sagte sie und arbeitete verbissen an ihrer Nähmaschine.
    Das größte Handicap war die Hygiene. In den ersten Zimmern, und mehr als ein einzelnes Zimmer würden sich die Finkelsteins nicht leisten können, gab es nur »Honigeimer« als Toilette   – hölzerne Kübel mit Deckel, die allmorgendlich hinausgestellt und geleert wurden. Herr Finkelstein lehnte mit Rücksicht auf seine Frau zunächst entschieden ab.
    Doch bald begriffen sie, dass ein Wasserklosett inHongkou etwas äußerst Seltenes war; und wenn sich jemand eines   – meist illegal und ohne Verbindung zur Kanalisation   – gebaut hatte, so ließ er es sich teuer bezahlen. Also würden sie sich wohl mit einem Honigeimer begnügen müssen, denn zu der hohen Miete kam auch noch das unverschämt hohe
keymoney
, dass der Vermieter einmalig bei Aushändigung des Schlüssels verlangte und das nicht zurückgezahlt wurde.
    »Wie sollen wir Mutter das beibringen?« Inge sah den Vater zweifelnd an.
    »Mach ich schon. Ich kenne meine Marianne, erst wird sie ein großes Drama machen, aber im Grunde weiß sie genau, dass wir keine Wahl haben. Es tut mir bloß so leid, dass ich ihr das alles antun muss.«
    Bevor der Vater in Selbstvorwürfen versinken konnte, deutete Inge auf ein weiteres Schild in einer der
lanes
, den schmalen Gässchen, die beiderseits der Straßen abgingen.
    Ein feister Chinese mit schmuddeligem Kittel führte sie in einen sogenannten
meterroom
.
    »Come looksee Mister, Missy.«
    »
Was, hier sollen Menschen wohnen«,
gab Inge auf Chinesisch zurück, nachdem die den Kopf in das feuchte, dunkle Kämmerchen gesteckt hatte, dessen Name von dem Elektrozähler herrührte, der hier installiert war.
»Hier gibt’s ja nicht mal Fenster.
« Empört machte sie auf dem Absatz kehrt.
    Nach vielen weiteren Begegnungen mit muffigen, schimmligen Räumen und unverschämten Vermietern fanden sie schließlich ein Zimmer im Obergeschosseines Reihenhauses in einer Lane der Chusan Road: Kochgelegenheit auf dem Flur, gemeinschaftliches Waschbecken im Erdgeschoss, Toilettenkübel auf dem Dachgarten.
    »Meinst du, Mama könnte es hier aushalten?«, fragte Inge ihren Vater vorsichtig. Sie hatte sich augenblicklich in den Dachgarten verliebt. »Ich werde mal versuchen, ihn noch ein bisschen runterzuhandeln.«
    Doch der Vermieter namens Wang, Oberhaupt einer chinesischen Großfamilie, war eine harte Nuss, und ließ sich vom Charme einer gerade Fünfzehnjährigen keineswegs um den Finger wickeln. Hier konnte Inge nicht spaßeshalber auf ihre hungrigen Kinder verweisen wie in der Markthalle, denn die Familie Wang, selbst mit zahlreichen Kindern gesegnet, drängte sich im Erdgeschoss des kleinen Hauses zusammen, um möglichst viel aus ihrem Obergeschoss herauszuholen. Aber selbst für den alten Wang gehörten Handeln und Feilschen zum normalen Verkaufsgespräch, und so ließ er Inge schließlich einen kleinen Teil der horrenden Monatsmiete nach, den er zuvor sowieso draufgeschlagen hatte.
    »Und für so ein Loch müssen wir auf die Gundel zurückgreifen«, schnaubte Marianne Finkelstein, nachdem sie das Zimmer gesehen hatte. Für das Schlüsselgeld reichte ihr Strumpfgeld nicht, da würden sie die eiserne Reserve angreifen müssen. »Ich weiß gar nicht, warum ich mich damals so aufgeregt habe, als wir in die Bubbling Well Road gezogen sind. Das hier ist ja geradezu ein Palast.«
    Vermutlich hätte augenblicklich die Schwermut sieübermannt, wenn sie nicht alle Hände voll zu tun gehabt hätte. Die Habseligkeiten waren rasch gepackt. Eine letzte Auseinandersetzung entspann sich   – wie zu erwarten   – um Kater Laifu.
    »Wir können in diesem einen Zimmer unmöglich auch noch eine Katze halten«, schimpfte die Mutter, deren Nerven blank lagen. Inge wusste allerdings genau, wo ihre Mutter am verletzlichsten war, und im Notfall musste man eben scharfe Geschütze auffahren.
    »Aber, Mama, du weißt doch, wie dreckig und unhygienisch es in Hongkou ist. Dort gibt’s noch viel mehr Ratten als hier, und das sind echt eklige Kanalratten, keine netten Mäuslein. Die übertragen wirklich Typhus, das weiß ich von meinen Klassenkameraden, die da wohnen. Wir brauchen Laifu unbedingt. Außerdem kann er auf dem Dachgarten sein.« Diesen

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