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Torte mit Staebchen

Torte mit Staebchen

Titel: Torte mit Staebchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Hornfeck
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einzigen Freiraum ihrer neuen Bleibe hatte Inge insgeheim schon für sich und den Kater reserviert. Der »Honigeimer«, der ebenfalls dort oben stand, war zum Glück hinter einem provisorischen Holzverschlag verborgen. Als sie das entsetzte Gesicht ihrer Mutter sah, tat sie Inge fast schon wieder leid. Doch diesmal heiligte der Zweck die Mittel. Das war ähnlich wie bei den Notlügen.
     
    Kurz vor Ablauf der Frist und kurz nach Inges 15.   Geburtstag, also ziemlich auf den letzten Drücker, zogen auch die Finkelsteins samt Kater ins Ghetto. Inge verstaute den kratzenden, fauchenden Laifu im Schulranzen, und die Familie verteilte sich auf zwei Rikschas. Ein Angestellter der Konditorei würde dieKoffer und die kostbare Singer mit dem Lastenrad, auf dem sonst Mehlsäcke transportiert wurden, nachbringen. Als alles abfahrtbereit war, drückte Herr Fiedler der heulenden Inge eine Tüte Kuchenbruch in den Arm. Frühlingserwachen lachte ihr aufmunternd zu:
    »Warum weinen, Ying’ge? Wir sind in selbe Stadt. Bald du kommst neue Zeichen lernen.«
    Zum Glück war Sanmao nicht zu Hause.
    Rausgeschmissen! Die haben uns schon wieder rausgeschmissen. Schon zum zweiten Mal! Jetzt müssen wir zurück an den Anfang wie beim »Mensch-ärgere-dich-nicht!«, dachte Inge und ärgerte sich wieder mal ganz fürchterlich über die Ungerechtigkeit dieser Welt.

Eingesperrt
    Schanghai, 1943   – Jahr der Ziege
    羊
    Viele Rikschas und schwer bepackte Lastenräder mühten sich die Steigung der Garden Bridge hinauf. Inge und ihre Familie waren nicht die Einzigen, die in letzter Minute nach Hongkou umzogen. Kurz nach der Brücke passierten sie das Bridge House, das Hauptquartier der japanischen Militärpolizei. Ein paar Straßen weiter stand schon ein Sperrzaun bereit, der den Eingang zum Ghetto bilden und ab morgen die Bewegungsfreiheit der Ghettobewohner einschränken würde. Heute war der 17.   Mai, die Finkelsteins waren keinen Tag zu früh gekommen.
    Inge sank der Mut vollends, als sie an der einschüchternden Fassade des Ward Road Prison, dem ehemaligen Gefängnis des International Settlement, vorbeifuhren. Die düstere, festungsartige Anlage nahm gleich den ganzen Straßenzug ein und wurde von den Japanern inzwischen mit chinesischen Rebellen, Kriegsgefangenen und unliebsamen Angehörigen der Feindmächte gefüllt. Bedrohlich ragte das Gefängnis mit seinen Wachttürmen über die übrige Bebauung hinaus, die durchweg aus langen Zeilen zweistöckiger Backsteinhäuser bestand, zwischen denensich kleine Gässchen auftaten. In eine solchen Lane, der Nummer 214   Chusan Road hielten sie gleich darauf vor einer schäbigen Holztür etwa in der Mitte der Gasse.
    Die Ankunft der Neuen hatte sich unter den Anwohnern des überfüllten Wohnquartiers sofort herumgesprochen. Unter den neugierigen Blicken der westlichen und chinesischen Nachbarn entluden die Finkelsteins ihre Habseligkeiten, was umso peinlicher war, da es rasch vonstatten ging. Nur die Singer, die zwei Helfer von Herrn Fiedler über die steile, dunkle Treppe in den ersten Stock hinaufwuchteten, provozierte anerkennendes Gemurmel.
    Das Treppenhaus war eng und bewahrte die Gerüche vergangener Mahlzeiten, an vielen Stellen blätterte der Putz ab. In ihrem einzigen Raum versuchten die Finkelsteins, ihre Besitztümer so zu verteilen, dass zumindest ein wenig Privatsphäre entstand. Inges Feldbett wurde in den Erker geschoben, der zur Gasse hinausging.
    »Gleich morgen nähe ich dir einen Vorhang, den kannst du abends zuziehen«, versprach Frau Finkelstein, als sie ihre Tochter, den Tränen nahe, auf dem Bett sitzen sah. Künftig würde die Familie in diesem Raum schlafen, essen und arbeiten. Die sogenannte Kochgelegenheit   – ein ausschamottierter großer Blumentopf, der mit Briketts aus Presskohle beheizt wurde, stand wegen der gefährlichen Gasentwicklung auf dem Treppenabsatz. Die einzige Wasserstelle befand sich im Durchgang zum Hinterhof.
    »Wenn ich dabei bin, nähe ich gleich noch einenzweiten Vorhang für die Ecke mit der Waschschüssel, dann haben wir Zimmer mit eigenem Bad!«
    Inge musste ihre Mutter wirklich bewundern. In Ausnahmesituationen konnte Marianne Finkelstein erstaunliche Energie und einen unverwüstlichen Optimismus entwickeln. Inge dagegen fand im Moment überhaupt nichts komisch. Plötzlich wurde sie von einem wütenden Fauchen und Kratzen, das aus dem Schulranzen drang, aus ihrem Selbstmitleid gerissen.
    »Ach herrje, der arme Laifu.« Sie packte ihre

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