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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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veranlagt war Cerny nun einmal.
    Steinbeck war Cernys Manie gleichgültig. Kein Vergleich zu den Angewohnheiten ihrer eigenen Leute, allein das traditionelle Scheuern am eigenen Geschlecht, als würden dort unten Lose gerubbelt. Sie schätzte Cerny als zuverlässig, intelligent und relativ unbestechlich. Mehr wollte sie nicht verlangen.
    Sie hatte ihn kommen lassen, da ihr der Fall Hafner nicht aus dem Kopf ging. Zwar wurde nach außen hin eine Arbeit an der Aufklärung der Hintergründe und Ausforschung der Täter behauptet, doch praktisch war die Sache auf Eis gelegt worden. Das Mädchen war tot und begraben, die Presse längst mit anderen Opfern beschäftigt, und die Familie Hafner hatte sich zurückgezogen wie von einem Geschäft, das nichts einbringen würde. Ohne triftigen Grund galt es als erwiesen, daß eine Verbrecherbande aus dem deutschen oder irgendeinem anderen ehemaligen Osten, logistisch unterstützt von Exponenten der heimischen Szene, die Entführung vorgenommen hatte.
    Die Verhaftung Vavras war ein Reinfall gewesen. Das hatte Steinbeck vom ersten Moment an gespürt. Seine Aussage war so phantastisch gewesen, daß sie kaum erfunden sein konnte. Wer denkt sich Derartiges aus? Aber der Mann war nun einmal verfügbar gewesen. Und schließlich mußte gearbeitet werden. Entsprechend jüngsten Richtlinien, die von der geplagten Presseabteilung der Polizeidirektion konzipiert worden waren, hatte man die Verhaftung, Befragung und kurzfristige Inhaftierung Vavras so vorgenommen, daß das Verschwinden dieses Mannes nicht mit der Entführung in Zusammenhang gebracht werden konnte. Er war offiziell das Opfer eines Raubüberfalls geworden, sein Abtransport zwar spektakulär, aber angesichts einer polnischen Attacke durchaus gerechtfertigt. Weshalb es auch nicht nötig gewesen war, ihm einen Anwalt zur Seite zu stellen. Er war gewissermaßen in Schutzhaft genommen worden. Zudem hatte im Moment seiner Verhaftung der Zivilist Vavra zu existieren aufgehört. Daß man ihn dann einfach freiließ, ohne sich weiter um ihn zu kümmern, war nicht ungewöhnlich, auch wenn im scheinbaren Widerspruch zur vorangegangenen Vorsicht stehend. Mag sein, daß man früher einer solchen Person den Weg zurück ins bürgerliche Leben gewiesen hatte. Mag sein, daß so mancher zur weiteren Verwahrung in einer jener Anstalten gelandet war, wo einen der Wahnsinn im Sinn eines Gehorsams ereilte. Mag auch sein, daß tödliche Unfälle inszeniert worden waren, um der üblen Nachrede des zu Unrecht Verdächtigten zu entgehen. Mag sein. Heute wußte man, daß es nicht bloß praktikabler, sondern auch wesentlich sicherer war, diese Leute, wie jeden anderen, der aus dem Gefängnis entlassen wurde, einfach auf die Straße zu setzen. Einige fanden zurück in ihr Leben, wo sie sich dann stiller und unauffälliger verhielten als zuvor. Die meisten jedoch stürzten ab, ohne dabei viel Krach zu schlagen. Sie landeten bald wieder im Gefängnis, nur daß sie nun eine wirklich begangene Straftat vorweisen konnten und also dem ursprünglichen Verdacht in modifizierter Form doch noch gerecht wurden.
    »Ich wünsche mir«, begann Steinbeck, sah aber weiter zum Fenster hinaus, als sei ihr Wunsch dort draußen im Schnee begraben, »daß Sie sich der Hafnergeschichte annehmen.«
    »Ist die nicht abgelegt?«
    »Abgelegt, aber nicht makuliert.«
    »Und was sagt der Chef?«
    Es war nie ganz klar, wer mit »Chef« gemeint war. Etwa einer von den Hofräten, die wie Weihnachtssterne an den Spitzen der Abteilungen festsaßen und weder gerne nach oben noch nach unten sahen? Oder war jemand aus der höchsten Etage gemeint, einer von den patenten Burschen, die zuckerwerkartig den jeweiligen Minister schmückten und denen die Beschwichtigung im Mund lag wie den Hofräten der Nasal im Nasenraum?
    Steinbeck erklärte kryptisch, daß ihr ein gewisser Freiraum zur Verfügung stehe, zumindest so viel, daß sie ihn, Cerny, damit beauftragen könne, nachzuforschen, wie sich der Fall abseits der Ostbandenversion darstelle.
    »Ist die Familie überprüft worden?«
    »Natürlich. Natürlich mit großer Zurückhaltung. Wirkliche Verdachtsmomente haben sich nicht ergeben. Bei einer so oberflächlichen Betrachtung war auch kaum etwas auszumachen. Der Hafnerclan ist sakrosankt.«
    »Auch für mich?«
    »Bohren Sie. Aber tun Sie dem jeweiligen Patienten nicht weh. Es soll aussehen, als wollten wir die bereits gewonnenen Erkenntnisse bloß absichern. Einen bürokratischen Strich unter den

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