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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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der wahren Lage seines Meßgerätes bewußt wurde. Allerdings war er überzeugt, daß Resele dem gleichen Irrtum aufgesessen war.
    Nachdem sich Rad Zeit ließ und es nun die Stille war, die an die Nerven ging, war Cerny nicht unglücklich, als Resele, ohne gleich wieder körperlich zu werden, das Schweigen brach und erklärte, daß sie – in bezug auf kriminelle Ereignisse – nicht wirklich ein Frischling sei, daß sie schon einmal in eine derartige Geschichte verwickelt gewesen war. Eine Geschichte zum Fürchten.
    Als erfordere es der Anstand, verstummte sie erneut. Cerny sollte sie wohl darum bitten, die Geschichte zu erzählen.
    Und: Cerny bat.

6|  Das Stück zur Pause
    Der Fall ereignete sich im Juni 1978 und ging in den Medien wohl nur deshalb unter, da tags zuvor die österreichische Fußballnationalmannschaft jenen historischen, jede vorangegangene und jede künftige Schmach auslöschenden Sieg über die Deutschen errungen hatte, der die ganze Nation einte und von der restlichen Welt als Erfolg liebenswerter Teilzeitgenies gesehen wurde, die den kollektiven Rationalismus in seine Schranken gewiesen hatten. Einige sprachen sogar von einem Triumph des Musischen über den Maschinismus.
    Als Paula von ihrer Arbeit nach Hause kam, saß ihr Ehemann, der wegen einiger Amtswege an diesem Tag nicht bei der Arbeit gewesen war, in seinem Lieblingssessel und las seine Zeitung, in der das fußballerische Wunder nicht als ein solches, sondern als Ausdruck des Willens hochtrabend beschrieben wurde. Paulas Gruß blieb unbeantwortet, was sie nicht störte, von Herzen war er nicht gekommen. Sie führten eine Ehe, wie man sie eben führt, und zwar aneinander vorbei, was besser war als die Streitigkeiten am Anfang ihrer Beziehung, da noch eine gemeinsame Sexualität die beiden zum verbalen Schlagabtausch gezwungen hatte. Daß sie einmal in ihn verliebt gewesen war, kam ihr komisch vor, so wie die Mode ihrer Jugendzeit. Dabei war Robert nicht fett oder merklich älter geworden. Aber an seinem Gesicht hatte sie sich bald satt gesehen, und sein vom Wildwasserpaddeln und anderen Natureroberungen muskulöser Körper erschien ihr bloß noch wie ein Stück Fleisch in bunter Unterhose, das neben ihr im Bett lag und glücklicherweise keine Anstalten machte, sich auch hier noch bewegen zu wollen. Er war ihr nicht fremd geworden, das war er immer gewesen. Die Schwärmerei der ersten Zeit hatte nicht ihm, sondern dem Gefühl an sich gegolten. Dennoch war sie in diese Ehe nicht wie in eine Falle gestürzt, sondern bei vollem Bewußtsein in ein Loch gesprungen, weil das eben der menschlichen Natur entsprach: in Löcher zu springen und dort darauf zu warten, daß alles vorübergeht.
    Kinder hatten sie keine, es war nie ein Thema gewesen. Was ihr auch lieber war. Eine Schwärmerei hatte gereicht. Ein Grund, daß sie kaum Freundinnen hatte. Eine Frau, die dreißig war und noch nicht Mutter, hatte etwas von einer Aussätzigen. Da war eigentlich nur Else Resele, natürlich auch kinderlos, mit der sie sich verstand, auch wenn deren wildes Leben ihr wie ein Betrug an der Wirklichkeit erschien. Else kroch aus jedem Loch, in das sie gesprungen war, um sogleich ins nächste zu hüpfen, was sie für Abwechslung hielt, als hätte je eine Grube sich von einer anderen unterschieden.
    Freilich: Eine kleine Obsession hatte Paula trotz der einschläfernden Atmosphäre ihres Daseins entwickelt. Die Liebe zur Mathematik.
    Auch wenn mittelständische Frauen immer wieder verdächtigt werden, am Alkohol zu hängen, hängen nicht wenige von ihnen viel eher an der Mathematik, tatsächlich wie an einer Flasche, süchtig nach Reinheit, stimmigen Proportionen, vor allem nach Körperlosigkeit. Während sie in besagten Löchern leben und keiner sich vorstellen kann, daß irgendeine Lust ihr Leben touchieren könnte, geben sie sich den Erhöhungen von Arithmetik und Algebra hin, den wunderbar gruseligen Untiefen der Zahlentheorie und Kombinatorik und ähnlichen hochprozentigen Verkopfungen. Wenn man so will: Hexen, mathemazistische Kräuterweiber.
    Man kann davon ausgehen, daß hier Ungeheuerliches geleistet wird. Ein Glück, daß in dieser naturgemäß von Männern bestimmten Wissenschaft keiner auch nur eine Ahnung besitzt, sich das weder vorstellen kann noch möchte, wie viele sogenannte mathematische Probleme in diversen dunklen Löchern bereits eine umwerfend simple Lösung erfahren haben. Das Grauen würde den von ihrem Auserwähltsein hartnäckig überzeugten

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