Tortengraeber
dann aber doch hängen, zunächst bei einer Todesanzeige, die ihr wegen des merkwürdigen Spruches aufgefallen war: Das nächste Mal wird es nur halb so lustig . Darunter die Namen der in stiller Trauer Verbliebenen. Lustlos wechselte Paula zum Lokalteil. Über einer Spalte am Seitenrand prangte das Wort Messerattentat wie eine Verheißung, wuchtig und schrill. Doch das war es nicht, was ihren Blick festhielt, sondern die mager gedruckte Beifügung, der Vorfall habe sich in der Luggauerstraße zugetragen. Paula stutzte, als sei ein Verbrechen, das gleich um die Ecke geschehen war, wie ein Einbruch in die eigene Intimität. Ein Umstand, der den unwirklichen Charakter einer jeden Verbrechensmeldung merklich abschwächte. Und wie um das Außerordentliche zu bestätigen, setzte sie ihre Brille ab, die beim Lesen nur störte. Anfangs war der Schauer noch ein angenehmer, als sie las – und sich vorstellte, was sie da las:
»Gestern am frühen Nachmittag wurde eine vierundzwanzigjährige Studentin durch mehrere Messerstiche schwer verletzt. Der unbekannte Attentäter scheint der Frau vom Westbahnhof aus gefolgt zu sein. Er dürfte sich sowohl in der Straßenbahnlinie 58 als auch im Bus 54B befunden haben, welche das spätere Opfer benutzte. Nach einer ersten Beschreibung der Chemiestudentin trug der ihr unbekannte Mann einen dunkelblauen Einreiher, einen grauen, breitrandigen Hut und eine modische Sonnenbrille und war von durchschnittlicher Größe und schlanker Statur.
Nachdem die junge Frau den Bus an der Station Schweizertalstraße verlassen hatte, stellte sie den Verfolger in der Veitlissengasse zur Rede. Als dieser keine Reaktion zeigte, drehte sie sich um und setzte ihren Weg fort. Kurz darauf stach der Mann, der zwischen dreißig und vierzig Jahre geschätzt wird, von hinten auf das Opfer ein. Erst Minuten später wurde die blutüberströmte, zu diesem Zeitpunkt bereits bewußtlose Frau von einer Passantin entdeckt, welche sofort Rettung und Polizei benachrichtigte. Nach Aussage der behandelnden Ärzte befindet sie sich bereits außer Lebensgefahr, was ein großes Glück darstelle, da zwei der Stiche nur Millimeter von lebenswichtigen Organen eingedrungen seien. Zudem habe die verhältnismäßig späte Alarmierung der Rettung zu einem starken Blutverlust geführt.
Es wird angenommen, daß zur Zeit des Attentats die abseits gelegene Veitlissengasse menschenleer gewesen sei. Auch scheint keiner der Bewohner aus den umliegenden Häusern das Verbrechen beobachtet zu haben. Wie ein Polizeisprecher erklärte, gebe es derzeit keine Hinweise auf die Person des Täters. Mit einiger Wahrscheinlichkeit müsse davon ausgegangen werden, daß es sich bei der niedergestochenen Frau um ein Zufallsopfer handle. Allerdings sei die Befragung aus naheliegenden Gründen noch nicht abgeschlossen. Man müsse in jedemFall die Bevölkerung zu erhöhter Wachsamkeit ermahnen, da die Möglichkeit eines Serientäters bestehe. Die Exekutive führe die Untersuchung mit einem Großaufgebot an Beamten durch.«
Der Berichterstatter fragte sich in der Folge nach dem Motiv und konstatierte zugleich, daß die Motivlosigkeit solcher Handlungen in erschreckendem Maße zunehme. Wurde aber nochmals sachlich, indem er Zeugen aufrief, sich zu melden. Vor allem jene Frau, die nach Aussage der Studentin sich an der Bushaltestelle in Unter Sankt Veit mit dem späteren Täter kurz unterhalten hatte.
Es gibt Dinge, die man einfach nicht glauben kann. Was die Dinge nicht kümmert, welche aus dem Dunkel treten, sich vor einem aufbauen und immer klarer werden. So ging es Paula, die jetzt feststellte, daß ihr Mann mehrere blaue Einreiher besaß, seine Sonnenbrille geradezu aufdringlich auf dem Tisch postiert war und er über einen grauen, breitrandigen Hut verfügte – was allein noch nichts hieß, hätte er nicht genau diese drei Merkmale aufgewiesen, als sie ihm am Nachmittag dieses Tages an der besagten Autobushaltestelle begegnet war. Das Büro, in dem sie als Buchhalterin arbeitete, lag zwei Gassen weiter. Sie hatte sich auf dem Weg zur Post befunden. Was eigentlich nicht zu ihrem Job gehörte. Doch die zuständige Kollegin hatte sich unwohl gefühlt, und Paula war froh gewesen, für eine Weile aus dem Haus zu sein. Als sie an der Haltestelle vorbeikam, hätte sie ihren Mann beinahe übersehen. Hinter der Sonnenbrille wirkte sein Gesicht kantiger, hölzern. Und der Hut, den er nur selten trug, hatte es breiter erscheinen lassen. Ihm zu begegnen war ihr
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