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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Herren das Gemüt gefrieren.
    Paula hatte zwischen Arbeit, Haushalt und dem Ertragen ihrer streitbaren Eltern nur wenig Zeit, in welcher sie im Keller und der Besenkammer – also den heiligen Orten jeder Kunst und Wissenschaft – vertrackte Aufgaben mit der konzentrierten Routine einer Teppichknüpferin löste. Und wirklich ist das Teppichknüpfen die der Mathematik nächststehende, wenngleich gerne unterschätzte Tätigkeit. Im Stil einer solchen Handwerkerin entwickelte Paula eine Formel, anhand derer man die Flugbahn sowie den exakten Ort der Landung eines jeden herabfallenden Papiers berechnen konnte. Eine Formel, die selbst jenen, die des Teppichknüpfens nicht mächtig waren, hätte einleuchten müssen. So teuflisch einfach war sie. Nicht ohne Stolz und sehr zu Recht sprach Paula – im Selbstgespräch – vom Paulaschen Gesetz. Doch allein die Verwendung eines Vornamens wäre als Kinderei empfunden worden, hätte zur Belustigung der Wissenschaft geführt.
    Nicht nur die Standeselite, auch ihr Gemahl wußte von alldem nichts. Denn Paula war nicht nur ein uneingestanden mathematisches Genie, sondern auch ansonsten intelligent genug, ihre kleine Verrücktheit nicht in die Auslage zu stellen.
    Nachdem Paula eine kalte Platte zubereitet und sie auf den Wohnzimmertisch gestellt hatte, setzte sie sich vor den Fernseher und sah sich eine Komödie an. Sie hatte es aufgegeben, warme Mahlzeiten zuzubereiten. Es war nicht vorauszusehen, ob ihr Mann zu Tisch kam oder nicht. Anfangs hatte dies zu Diskussionen geführt, indem Paula auf einer festgesetzten Zeit bestand, um sich den Abend einteilen zu können. Natürlich aber wollte Robert – immerhin ein freier Mensch, andererseits keineswegs Herr über den eigenen Hunger – sich nicht vorschreiben lassen, wann er Appetit zu haben hatte. Und wozu einteilen, fragte er. Um Frauenmagazine zu lesen, Fußbäder zu nehmen, auf der Terrasse Zigaretten zu rauchen? Also hörte sie auf, ihn zu bekochen, was er kommentarlos hinnahm. Dieses häusliche Getue war ihm stets auf die Nerven gegangen. Ohnehin waren die Frühstücke im Büro, die zumeist späten Mittagessen mit Geschäftsfreunden ausreichend. Und seine Figur war ihm heilig. Er verachtete Leute, die sich gehenließen. Daß Paula einen kleinen Bauch bekommen hatte, daß ihre Haut zusehends an Straffheit verlor, ihre ganze Haltung kläglich wirkte, konstatierte er mit der Strenge eines Lehrers, der sich um unwillige Schüler nicht weiter kümmert.
    Der Film langweilte sie. Sie konnte nicht verstehen, wie andere Menschen im Humor Trost fanden. Dennoch sah sie ihn sich zu Ende an, ein Ende, wo jeder sein Gegenstück bekam und das Glück bedrohliche Ausmaße annahm. Die darauffolgenden Nachrichten, die die Wirklichkeit zumindest streiften, empfand sie geradezu als Erleichterung.
    Als die wahrscheinliche Wirklichkeit des Wetters zur Sprache kam, schaltete sie ab, setzte sich an den Tisch und stöberte in den angetrockneten Wurstblättern wie in einer Schallplattensammlung, die nichts hergab, begnügte sich mit einer Essiggurke und ein paar Zwiebelringen. Robert haßte Zwiebeln. Daß sie die kalten Platten hin und wieder mit Zwiebelringen garnierte, war wohl das letzte, wenngleich unbewußte Zeichen einer Beziehung zu diesem Mann. Er erhob sich und legte die Zeitung vor sie auf den Tisch. Dann machte er es sich vor dem Fernseher gemütlich, katzenhaft hingestreckt, wie es schien, schläfrig. Dabei wachsam, in freudiger Erregung. Man könnte sagen: Er hatte seine Ohren aufgerichtet.
    Paula war überrascht. Es entsprach nicht Roberts Art, ihr die Zeitung anzubieten. Wie die meisten Männer in den siebziger Jahren war er ja nicht bloß der Überzeugung, Frauen seien sozusagen belletristisch veranlagt, an Politik und Wirtschaft eher desinteressiert und, um die eigentliche Bedeutung des Sports zu erkennen, zu ahistorisch, sondern vertrat auch die psychologisch interessante Auffassung, Zeitunglesen sei Ausdruck eines aufgeklärten Intellektualismus – und dieser zwar nicht vornehmlich männlich, aber doch ziemlich.
    Wozu also? Wollte er tatsächlich, daß sie sich die Zeitung ansah, wollte er, daß auch sie begriff, daß hier nicht bloß eine Fußballschlacht gewonnen worden war, es sich vielmehr um eine Art Naturereignis handelte, vielleicht um eine Kontinentalverschiebung? Sie blätterte noch ein wenig in der Wurst, schleckte sich die Finger ab und schlug die Zeitung auf. Ging sie durch, indem sie die Seiten überblätterte, blieb

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