Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt
lud ihn vor der Haustür ab. Während wir auf ihn warteten, meinte die Dame mit dem Stock: »Eigentlich könnte ich die Zeit nutzen und rasch zur Toilette gehen.«
»Gute Idee«, sagte die an Parkinson erkrankte Dame. »Wenn du auf mich wartest, komme ich mit.«
Nach einer halben Stunde und weiteren Anliegen machten wir uns endlich auf den Weg, doch sobald wir auf der Hauptstraße angekommen waren, bat die Gruppe, sie zur nächstgelegenen Apotheke zu fahren. Der Dorfapotheker starrte mich ungläubig an, als ich ihm die Liste der erforderlichen Medikamente reichte. Auf diesen Halt folgten Besuche bei der Bank, der Post und schließlich beim Bäcker, weil jemand hungrig geworden war. Kein Wunder – inzwischen war es Mittag geworden, und unsere eigentliche Tour hatte noch immer nicht begonnen!
Wir setzten uns zum Essen, und erst jetzt fiel mir auf, dass alle ähnlich gekleidet waren: Die Männer trugen Fischermützen aus Leinenstoff, quer gestreifte Seglerhemden, pastellfarbene Hosen und Turnschuhe von Nike, die Frauen eher schlichte, aber sportliche Kleider, so bequem wie möglich – ganz anders als die Bekleidung gewisser anderer Kundinnen, die zu einem Ausflug aufs Land mit dickem Make-up erscheinen, herausgeputzt in grellen Partykleidern und Stöckelschuhen oder eingezwängt in enge Hosen mit Leoparden- oder Reptilienmuster.
Beim Essen versuchte ich ein paar Sachen aus der Geschichte der Gegend zu erzählen. Obwohl ich mich bemühte, möglichst laut zu sprechen, musste ich alles zwei- bis dreimal wiederholen. Schließlich gab ich es angesichts ihrer mangelnden Aufmerksamkeit ganz auf und fragte sie, was denn eigentlich der Anlass ihres Besuches in Italien sei.
»Wir sind auf unserer Hochzeitsreise«, antworteten alle gleichzeitig.
»Und Italien ist ja ein sooo romantisches Land«, fügte die Dame mit dem Stock hinzu.
Zuerst glaubte ich, sie scherzten, aber es war ihr voller Ernst. Sie hatten in der Woche zuvor geheiratet. Und das war nicht alles. Die Dame mit Parkinson, die vorher mit dem schwerhörigen Herrn im Liegestuhl verheiratet gewesen war, hatte den Mann im Rollstuhl geehelicht und ihr Exmann die Frau mit dem Stock. Für ihn war es seine siebte Ehe. Ich brauchte längere Zeit, um den Überblick über die verwirrenden und etwas beunruhigenden Verhältnisse der fünf untereinander zu gewinnen – was der Mann mit dem Holzbein für eine Rolle spielte, habe ich bis heute nicht herausgefunden.
Nach dem Essen, das sie bis zum letzten Krümel vertilgten, fuhr ich mit ihnen zu einer Besichtigung des Schlosses von Brolio. Zufällig saßen die beiden schwerhörigen Leute hinten im Kleinbus, sodass alles, was ich sagte, von den direkt hinter mir Sitzenden für die dahinter wiederholt werden musste. Trotz dieses verwirrenden Chors baten sie mich nach unserer Ankunft beim Schloss, nochmals alles von vorne zu erzählen, und bombardierten mich mit Fragen wie: »Dario, wo genau sind wir?«, oder: »Wie schön! Wer hat das Schloss noch mal gebaut?«, und dann erneut – unglaublicherweise -: »Dario, erzählen Sie uns etwas über diesen Ort!« Nachdem ich so die Geschichte des Schlosses doppelt und dreifach erklärt hatte, zog der Mann mit dem Holzbein einen Camcorder aus seinem Rucksack und bat mich, es vor laufender Kamera ein viertes Mal zu tun. Ich holte tief Luft. Als ich beinahe fertig war, stellte der Möchtegern-Steven-Spielberg fest, dass er vergessen hatte, eine Kassette einzulegen. Zum Glück hatte niemand mehr Lust, die ganze Vorstellung erneut präsentiert zu bekommen, und so schaltete er die Kamera ganz einfach wieder aus.
Als wir etwa die Hälfte der Besichtigung hinter uns hatten, begannen sie wieder, mich mit Fragen zu bestürmen, immer die gleichen, als ob sie die Erläuterungen, die ich immerhin viermal wiederholt hatte, schon total vergessen hätten. Die Situation war mehr als frustrierend. Ich fühlte mich wie ein Lehrer vor einer unaufmerksamen Schulklasse. Aber während ein Lehrer seine Stimme erheben und größere Aufmerksamkeit fordern kann, konnte ich nur lächeln und musste das Ganze durchstehen – ganz abgesehen davon, dass ich kaum viel lauter schreien konnte, als ich es bereits tat.
Ich hatte das unangenehme Gefühl, einer chinesischen Wassertropfen-Tortur ausgesetzt zu sein. Sobald ich gesagt hatte, das Schloss von Brolio gehörte der Familie Ricasoli, fragte der schwerhörige Mann: »Dario, wem gehört dieses Schloss?« Meinen letzten Rest von Geduld zusammennehmend, antwortete
Weitere Kostenlose Bücher