Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt
ganzes Land ist mit Weinreben bepflanzt, aber bis vor fünfzig Jahren lebten in diesem Haus, in dem ich heute mit meiner Frau und zwei Söhnen wohne, um die zwanzig Menschen, die hier alles Lebensnotwendige anbauen mussten. Die Weinreben, die heute meine einzige Einkommensquelle sind, war für sie nur ein kleiner Bestandteil der angebauten Pflanzen, allerdings ein wichtiger, denn im Winter waren sie ihre einzige Vitamin-C-Quelle. Für sie war der Wein deshalb nicht nur ein Getränk, sondern ein richtiges Nahrungsmittel. Dass der Wein jung getrunken wurde, hat denselben Grund – älterer Wein verliert viele seiner guten Eigenschaften. Ein alter Bauernspruch besagt deshalb: Einen Tag altes Brot, ein Jahr alter Wein und eine zwanzig Jahre alte Frau. «
T.T. hörte diesen Ausführungen aufmerksam zu und stellte unzählige Fragen. Als er wissen wollte, weshalb kleine Mengen weißer Trauben zur Chianti-Herstellung verwendet wurden, war Paolo bei seinem dritten Glas. Er antwortete, dass so der Alkoholgehalt niedriger bleibe, da damals ja auch die Kinder davon trinken mussten. Er erinnerte sich, wie er als kleiner Junge von seiner Mutter zum Frühstück in Wein getauchtes Brot mit etwas Zucker darauf vorgesetzt bekam. Baron Ricasoli, der im 19. Jahrhundert die Regeln für den Chianti-Wein festlegte, tat im Grunde nichts anderes, als die Prozentsätze der verschiedenen Traubensorten vorzuschreiben, wie sie die Bauern bereits verwendeten (achtzig Prozent Sangiovese, zehn Prozent Canaiolo-Trauben, beides rote Sorten, und dazu je fünf Prozent Trebbiano der Toskana und aus dem Malvasia Chianti-Gebiet, zwei weiße Sorten). Darum wurde der Chianti so populär – er war der tägliche Wein der Menschen hier.
Als sein Erfolg weltweit zunahm, wurde mehr und mehr billiger Tafelwein unbestimmter Herkunft unter dem Namen Chianti verkauft. Zum Glück, so erklärte ich T.T., wurden deshalb genaue Regeln zum Schutz des echten Produktes aufgestellt. So kann Chianti heute nur in bestimmten Gegenden der Toskana hergestellt werden, und der eigentliche Chianti Classico stammt ausschließlich aus dem Chianti-Gebiet.
So plauderten wir stundenlang, ohne auf die Uhr zu schauen. T.T., der offensichtlich glücklich war, diesen kleinen, pfiffigen und stolzen Unternehmer kennen gelernt zu haben, wollte wissen, weshalb hier in unseren Hügeln noch immer die traditionelle, bauchige Strohflasche benutzt werde. Ich erklärte ihm, diese Flaschen seien früher von Mund geblasen worden und der Boden dabei oft unregelmäßig herausgekommen, sodass die Flasche auf dem Tisch keinen guten Stand hatte, weshalb man sie fiasco – Misserfolg – nannte. Deshalb soll der Legende nach Leonardo da Vinci die Schilfummantelung erfunden haben. Die Umhüllung hielt den Wein außerdem kühl, wenn die Bauern ihn an heißen Sommertagen in seiner Flasche aufs Feld mitnahmen.
In den Sechzigerjahren kauften die Leute die Flasche mehr ihres dekorativen Wertes wegen. Gewisse Weinhersteller, die bemerkt hatten, dass die Flasche weniger wegen des Inhalts als vielmehr wegen der späteren Verwendungsmöglichkeit als Kerzenhalter gekauft wurde, füllten minderwertigen Wein darin ab. Und so kam es, schlussfolgerte T.T. schon leicht angeheitert, dass man den Wein in der Korbflasche als billigen Wein betrachtete.
Als die Sonne hinter dem Monte San Michele unterging, beschlossen wir schließlich, Paolo Auf Wiedersehen zu sagen. Er ließ sich allerdings nicht davon abhalten, mir ein halbes Spanferkel, das er im Ofen gebraten hatte, mitzugeben. Etwas verlegen wegen seiner Großzügigkeit, nahm ich das flüchtig in Papier gewickelte Geschenk entgegen und legte es auf den Rücksitz meines Wagens. Dann zog Paolo sich wieder seine Arbeitskleidung über und kehrte ins Fassinnere zurück, während T.T. und ich nach Siena fuhren. Weil ich mit dem Fahren etwas Mühe hatte, versuchte ich abzuschätzen, wie viel Wein ich getrunken hatte.
In der Ferne sah ich ein paar carabinieri, die eine Straßensperre errichtet hatten. Ich erklärte T.T., dass das eine ganz alltägliche Kontrolle sei. Schon wurde eine kleine rote Kelle vor uns geschwenkt, und ich hielt am Straßenrand an.
»Guten Abend«, sagte der junge carabiniere in seiner eleganten Uniform. »Führerschein und Wagenpapiere, bitte!«
Während die Dokumente geprüft wurden, versuchte ich T.T. zu beruhigen. Trotz der auf uns gerichteten Maschinenpistole sei all das eine reine Formsache. Ich erklärte ihm auch, dass die carabinieri in
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