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Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt

Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt

Titel: Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dario Castagno
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später, als wir schon lange aufgewacht waren und das Haus aufgeräumt hatten. Mit einem Sprung durch ein Hinterfenster konnten wir entfliehen, ohne eine Spur zu hinterlassen. Aber es hätte leicht schief gehen können!
    Zehn Jahre vergingen, und in diesen zehn Jahren wagten wir uns nie wieder in die Nähe des Hauses. Auf einer Party lernte ich ein Schweizer Paar kennen, das begeistert von seinem Sommerhaus sprach. Die Beschreibung kam mir merkwürdig bekannt vor. Als ich merkte, dass vom Versteck meiner Jugendzeit die Rede war, fragte ich die Frau, ob sie Sara heiße. Erstaunt bejahte sie.
    Ich stellte unzählige Fragen über das Haus. Vielleicht weil ich so viel Interesse zeigte, luden sie mich am nächsten Abend zum Essen ein. Zum Haus zurückzukehren war so merkwürdig für mich, dass ich nach ein paar Gläsern Wein die größte Lust verspürte, ihnen von meinen Erlebnissen in diesen Mauern zu erzählen. Ein noch stärkerer Instinkt in mir hielt mich aber davon ab – vielleicht die Angst vor ihrer Reaktion oder ganz einfach der Respekt, weil sie mich zum Essen eingeladen hatten. So behielt ich schließlich mein Geheimnis für mich. Schuldgefühle wegen meiner Abenteuer in diesem Haus hatte ich nicht. Die Würste, den Wein und die Mädchen hatten wir stets mitgebracht, und außer der Bettwäsche hatten wir nie etwas angerührt, das uns nicht gehörte.
    Wenn ich heute daran zurückdenke, staune ich, wie unschuldig und natürlich wir diese Dinge taten. Damals dachten wir, das ganze Chianti-Gebiet gehöre auch ein wenig uns, und ebendieses Gefühl hielt uns davon ab, auch nur in Entferntesten daran zu denken, etwas zu zerstören.
    Nachdem meine Vespa unbrauchbar geworden war, rückte ich zu einem modischeren Moto-Cross-Motorrad auf, dem legendären Cagiva Elephant 125, das ich nach Monaten harter Arbeit in den Weinkellereien Cecchi erstand. Auf diesem wendigen Cross-Country-Vehikel wagte ich mich auf immer schlechteren Nebensträßchen immer weiter vor. Ich hatte einen lächerlich blond gefärbten Haarschopf im Stil der Beatles, trug die merkwürdigsten Hüte, und in meinem Freundeskreis gehörte ich zu den Ersten, die einen Ohrring hatten. Ein kleiner silberner Ring baumelte an meinem linken Ohrläppchen und gab den entsetzten Bewohnern meines Dorfes Anlass zu viel Gerede.
    Es war Herbst, die angenehmste Jahreszeit im Chianti-Gebiet, wenn Kastanien geröstet und Steinpilze auf dem Grill gebraten werden. Die Tage werden kürzer, und man wärmt sich am Kaminfeuer, trinkt Rotwein und bereitet sich auf den bevorstehenden Winter vor. Es ist auch die Zeit, in der die Trauben das Wichtigste sind. Die Ernte wird eingebracht, und die Luft ist erfüllt vom süßen Duft der reifen Früchte, der rasch dem säuerlicheren des Mostes Platz macht, wenn die gepressten Trauben die Bottiche füllen. Die Hände der Bauern sind purpurrot verfärbt, und an ihren Lippen haftet der süße Geschmack der während der Weinlese von Hand stibitzten Beeren.
    Unter der grellen und ungewöhnlich heißen Sonne fuhr ich mit meinem Motorrad die Staubstraßen entlang und genoss die Zeit der Traubenernte. Ich bemerkte einen noch nie gesehenen Pfad, einen schmalen Kiesweg, der in ein Wäldchen mit Kastanienbäumen und Farnen führte. Obwohl mein Motorrad speziell für unebenes Gelände gebaut war, hatte ich große Mühe, auf den rutschigen Steinen im Sattel zu bleiben. Die Pflanzen standen immer dichter, bis ich mich schließlich in einem fast undurchdringlichen Dickicht befand. Schon lange hatte ich entdeckt, dass diese alten Straßen immer irgendwohin führen. Ich ließ also mein Motorrad stehen und ging zu Fuß weiter.
    Plötzlich sprang ein großes Wildschwein aus einem Busch hervor. Reglos stand ich da. Das Furcht erregende Tier musterte mich eingehend – dann ging es seines Weges. Ich brauchte einige Minuten Zeit, bis ich den Mut fand weiterzugehen.
    Etwas weiter vorn wurde das Dickicht weniger dicht, und plötzlich war ich auf einer Lichtung, in deren Mitte ein verlassenes Gehöft stand. Es war ein schönes Beispiel des archetypischen Hauses, das mir so gut gefällt: Hühnerhof, Schweinestall, Scheune, Viehställe unten im Haupthaus, ein überdachter Eingang mit Bogenfenstern und das Türmchen in der Mitte. Dieses Mal stand die Eingangstür offen; ich konnte also sicher sein, nichts Unrechtes zu tun, wenn ich eintrat.
    Ich ging hinein und stand in einer schönen Halle mit einem riesigen offenen Kamin. Holzbänke standen noch immer darum herum.

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