Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt
Anders als in anderen Häusern waren das Dach, die Wände und die Bodenbeläge unbeschädigt, vielleicht weil das Haus vor nicht allzu langer Zeit verlassen worden war. Wie ich bald herausfand, war es nicht gänzlich unbewohnt. In einem Zimmer hauste eine ganze Fledermauskolonie, in einem anderen eine Schleiereule, und in den Ställen stieß ich auf die größten Hornissennester, die ich je gesehen hatte.
Ich verliebte mich sofort in meine neueste Entdeckung und gab ihr ganz einfach den Namen La Casa, das Haus. Ich bat ein paar Freunde, mir zu helfen, das Haus aufzuräumen, und dann wurde es unser Treffpunkt. Der offene Kamin zog ausgezeichnet, sodass wir einen Rost mitbrachten und viele denkwürdige Grillabende hier verbrachten.
Es waren nur etwa zehn Personen in das Geheimnis von La Casa eingeweiht, und viele Monate lang ging alles gut. Dann kam kurz vor dem Silvesterabend jemand auf den Gedanken, ein großes Fest zu veranstalten und noch mehr Freunde mitzubringen. Ich war sehr stolz auf La Casa und hatte wenig Lust, das Haus mit anderen zu teilen. Deshalb war ich gegen diesen Vorschlag. Weil jedoch die Mehrheit für die Party war, willigte ich ein. Wir gaben uns große Mühe und brachten das ganze Haus auf Hochglanz. Um es noch festlicher zu machen, kauften wir Dekorationen und Kerzen und natürlich Nahrungsmittel und Wein im Überfluss.
Schließlich tauchten neben den eingeladenen Gästen hunderte nicht Geladener auf. Es waren so viele neue Gesichter, Freunde von Freunden und weitere Leute, die ich nie zuvor gesehen hatte, dass das Fest im Handumdrehen in eine wüste Schlägerei ausartete. Als die ersten Flaschen durch die Luft flogen, verließ ich angeekelt den Ort.
Am Neujahrstag kehrte ich zum Haus zurück, um mir den Schaden anzusehen. Der offene Kamin war zerstört und eine Trennwand fast vollständig demoliert worden. Die Wände waren mit obszönen Zeichnungen verschmiert, und der Boden war übersät mit zerbrochenen Flaschen.
Heiße Tränen der Wut rollten über meine Wangen. Die Verwüstung betrachtend, hatte ich das Gefühl, La Casa verraten zu haben. Der Schaden war zu groß, als dass meine Freunde und ich ihn hätten beheben können. Ganz abgesehen davon, war das Haus kein geheimer Ort mehr. Ich ging fort und schwor, nie wieder zurückzukommen.
Aber letztes Jahr tat ich es doch. Neugier und Heimweh trieben mich dazu. La Casa stand noch immer leer, und zu meinem Erstaunen waren auch die Zeichen von jenem barbarischen Silvesterabend 1984 immer noch vorhanden.
Mai und der Sammler
Jetzt ist das Chianti-Gebiet am allerschönsten. Die Kastanienbäume und die Eichen sind voll neuer Blätter, und süße Düfte erfüllen die Luft. Da ist einmal das Parfüm des Blauregens. Es ist für das Frühjahr in der Toskana besonders charakteristisch. Auch das kräftige Aroma der Jelänger-je-lieber-Sträucher kann man von weither riechen. Dazu kommt der Duft von wilden Rosen, Lavendel und Ginster sowie der Akazien, die die Straßen mit ihrer Fülle von zarten weißen Blüten säumen.
Vor allem aber ist dies der Monat der Schwertlilien in ihrem zarthellen Blau und mit ihrem starken Aroma. Sie wachsen wild, werden aber häufig auch angepflanzt und stehen im Mai in schönster Blüte. Ganze Schwertlilien-Felder entzücken das Auge. Die Bauern pflücken sie und trocknen sie an der Sonne. Je wärmer die Sonne scheint, desto stärker duften sie. Sie werden nach Florenz geschickt und von da nach Frankreich, wo sie für Dekorationen und zur Parfümherstellung verwendet werden. Früher aromatisierte man sogar Wein damit. Der wilde Thymian blüht jetzt auch, und wenn man darauf tritt, verströmt die Pflanze ihren starken Duft. Ähnliches gilt für den Majoran, den wilden Fenchel, die Katzenminze, den Rosmarin und den Salbei. Der Mai ist der Monat, in dem die Nachtigallen dem Tag ein Abendlied singen, und bei Dunkelheit sieht man die Leuchtkäferchen umherfliegen.
Im Mai traf ich John Aiello zum ersten Mal. Das war vor etwa acht Jahren. Ich holte ihn an einem herrlichen Morgen in Florenz ab. Es war der erste Tag im Jahr, der mild genug war, dass man mit offenem Wagendach fahren konnte. Die warme Sonne hatte mich in gute Laune versetzt, und trotz des üblichen Verkehrschaos in Florenz sang ich aus vollem Hals und achtetet nicht auf das Durcheinander und die Huperei um mich herum. John wartete vor einem bescheidenen Hotel im Stadtzentrum auf mich. Er war in Begleitung seines Bruders und seiner Schwägerin.
Der Ausflug
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