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Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt

Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt

Titel: Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dario Castagno
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Norditalienern gezählt werden. Am liebsten ist es uns, wenn man uns ganz einfach als Toskaner betrachtet.
    Obwohl – so ganz einfach nun doch wieder nicht. In den vergangenen Jahrhunderten war die Toskana selbst in viele Stadtstaaten aufgesplittert, alle mit ihrer eigenen, unabhängigen Regierung. Aus diesem Grund unterscheidet sich jede Stadt stark von den übrigen, sei es im mundartlichen oder architektonischen Sinne. Zudem sind – wie ich schon mehrmals angedeutet habe – die Erinnerungen an vergangene Kriege, Fehden und Rivalitäten zwischen diesen Stadtstaaten bis heute sehr lebendig geblieben. Die Florentiner beispielsweise werden von allen anderen Toskanern verachtet und gelten als vulgär, eingebildet und prahlerisch. Die Florentiner ihrerseits verspotten die Sienesen mit dem beleidigenden Spruch: Siena di tre cose è piena: torri, campane, e figli di puttane! – Siena ist voll von drei Dingen: Türmen, Glocken und Hurensöhnen!
    In Siena werden wir es nie müde, die Florentiner an ihre demütigende Niederlage in der Schlacht von Monteaperti im Jahr 1260 zu erinnern. Wenn sich Siena und Florenz in einem sportlichen Wettkampf gegenüberstehen, wird ganz bestimmt ein sienischer Zuschauer ein Spruchband entrollen mit der Aufschrift: »Erinnert euch an Monteaperti!«, was die Zuschauer aus Florenz in Wut versetzt. Als Antwort können sie den Florentiner Dante Alighieri zitieren, der in seiner Göttlichen Komödie die Siensen als das eitelste Volk überhaupt verschrie und unserem Sieg mit der Bemerkung abtat, er habe »den Arbiafluss rot mit Blut gefärbt«.
    (Interessant ist, dass die Sienesen und andere Toskaner, wenn sie im Ausland sind, oft sagen, sie kämen aus Florenz. Das ist einfacher als Siena, Prato, Pistoia oder, in meinem Fall, Castellina in Chianti anzugeben. Praktisch überall auf der Welt, von Kalifornien bis Kapstadt, bewirken diese Namen nur verständnislose Blicke. Also sagen wir »Florenz«, und schon glänzen die Augen unseres Gegenübers.)
    Die Liste verfeindeter Städte kann mit Siena und Arezzo weitergeführt werden. Die Leute aus Arezzo leiden noch heute an einem schweren Minderwertigkeitskomplex, weil ihre Stadt im Mittelalter weniger prächtig und einflussreich war. Die Sienesen nennen die Leute aus Arezzo »Kröten« und schauen auf die vielen Bauern aus der Gegend um Arezzo hinab, die in die sienesische Republik auswanderten, um dort bessere Lebensbedingungen zu finden.
    Die Liste ist scheinbar endlos: Pistoia richtet sich gegen die benachbarten Städte Lucca und Prato, Grosseto gegen Siena und Livorno, Massa gegen Carrara und so weiter. Das einzige einmütige Bündnis aller Städte richtet sich gegen Pisa. So ist der Anspruch: Meglio un morto in casa che un Pisano all’uscio! – Besser ein Toter im Haus als ein Pisaner an der Tür! – in sämtlichen Städten der Toskana gebräuchlich.
    Wir haben von den wichtigeren Städten gesprochen. Aber wir müssen in jeder einzelnen Provinz auch die Rivalitäten zwischen den kleineren Städten und Dörfern betrachten. Im Gebiet von Siena kommt es oft zu Handgreiflichkeiten zwischen den Einwohnern von Poggibonsi und jenen von Colle Val d’Elsa, zwei Ortschaften, die weniger als zehn Kilometer voneinander entfernt liegen. Ich kann mich an eine hitzige Auseinandersetzung zwischen einem angesehenen Rechtsanwalt aus Montepulciano und einem ebenso angesehenen Arzt aus Montalcino erinnern. Beide waren bereit, zur Verteidigung der Ehre ihrer jeweiligen Stadt auch handgreiflich zu werden.
    Fußballspiele zwischen Dörfern und Städten bringen hier die schlimmsten Auswüchse an den Tag. Ich habe erlebt, dass ruhige, besonnene Familienväter sich plötzlich in Hooligans verwandelten und dann am Ende des Spiels wieder ganz normal wurden. Ich habe eleganten Damen in Prada-Kleidern zugehört, wie sie ihr Missfallen über den Schiedsrichter aus einer feindlichen Stadt in Sätzen äußerten, die ich nur unter Erröten übersetzen könnte. Ich habe Großväter gesehen, die ihren Enkeln Zoten beibrachten, die sie der gegnerischen Mannschaft zubrüllen sollten.
    Und natürlich ist die Sache mit den Streitereien zwischen den Städten und Dörfern unter sich nicht alles. Wie wir bei den contrade von Siena gesehen haben, bestehen auch Rivalitäten innerhalb der Städte, und die sind nicht weniger hitzig und leidenschaftlich.
    Wahrscheinlich dringt dieser Hang zum Unfrieden noch tiefer in die italienische Gesellschaft hinein – unter Nachbarn oder innerhalb

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