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Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt

Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt

Titel: Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dario Castagno
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verrocchio genannt wird. Der mossiere – Starter – bedient sie. In ihr ist ein starkes Seil befestigt, das canapo genannt wird. Es wird mittels einer auf einer Säule stehenden Seilwinde quer über die Rennbahn gespannt. Ein Meter hinter diesem Seil ist ein zweites, kürzeres Seil, das einen Durchgang für die Pferde freihält. In der Nähe der Seilwinde ist ein Böller oben auf einer Säule befestigt, hier wird das Startsignal für die Probe und später dann für das richtige Rennen gegeben.
    Für jede Probe und auch am Tag des Palio-Rennens selbst wird die Reihenfolge der Pferde zwischen den beiden canapi ausgelost. Erst wenn die neun ersten Pferde aufgereiht sind, startet das zehnte Pferd, dessen Startposition di rincorsa – Nachläufer – genannt wird, das Rennen, indem es zwischen die beiden Seile hineingaloppiert. Dieser scheinbar einfache Vorgang kann eine Ewigkeit dauern, weil die Reiter versuchen, die Pferde ihrer Feinde zu behindern und weil der Nachläufer auf den günstigsten Augenblick wartet, bevor er zwischen die Seile prescht. Tatsächlich kann dieses Hin und Her um die Position so lange dauern, dass die Sonne untergeht und das ganze Rennen auf den nächsten Nachmittag verschoben werden muss – zur großen Enttäuschung und Entrüstung jener Touristen, die am nächsten Morgen nach Hause reisen müssen. (Wenn man den Palio sehen will, sollte man immer ein paar zusätzliche Tage einplanen.)
    Nach der letzten Probe, am Abend vor dem Rennen, treffen sich die contradaioli zu einem Bankett. Für dieses Riesenabendessen ist jeder öffentliche Platz, jede Straße und jeder Garten beleuchtet, und überall stehen Tische. Tausende contradaioli und ihre Gäste essen im Freien in einer Atmosphäre freudiger Erwartung und Aufregung. Dies sind die schönsten Nächte, und der Zauber Sienas kann dem Besucher den Eindruck vermitteln, die Zeit sei stehen geblieben.
    Es ist Brauch, dass zuerst der Prior, dann der capitano und schließlich der Reiter eine Rede halten, worin sie eine echte Schlacht versprechen und so die Hoffnung der contrada -Mitglieder schüren und endlose Trinkrunden auslösen, gefolgt von Gesang und von Gebeten für den Sieg. Das Essen dauert normalerweise bis tief in die Nacht. Der Rotwein fließt in Strömen, bis endlich auch der letzte contradaiolo total betrunken nach Hause wankt.
    Bei diesem Essen ist der Reiter für eine Nacht König, von den Männern beneidet und von den Frauen begehrt; sie flirten hemmungslos mit ihm. Für die weniger Erfahrenen unter den Reitern kann diese unerwartete Aufmerksamkeit verhängnisvoll werden. Glücklicherweise haben aber ein paar c ontradaioli die Aufgabe, den Reiter ins Bett zu begleiten, beinahe wie Leibwächter, um sicher zu sein, dass er am nächsten Morgen bereit und in bester Verfassung ist. Inzwischen steht das Pferd ruhig in seinem Stall, während der barbaresco die ganze Nacht über seinen Schlaf wacht.
    Der Morgen des großen Tages ist da. In der Hauptkirche zelebriert der Bischof eine Messe für die Reiter, und nach der allerletzten Probe, der provaccia, werden die Reiter im Rathaus angemeldet. In jeder contrada -Kapelle wird nun das Pferd vor einer riesigen Menschenmenge gesegnet. Der Priester beendet den feierlichen Anlass, indem er Pferd und Reiter laut zuruft: »Nun gehet hin und kehret siegreich wieder!«
    Dann beginnt der Umzug, in dem Mitglieder aller contrade in wunderschönen mittelalterlichen Kostümen vom Dom durch die Straßen der Stadt zum Campoplatz ziehen. Sind alle beim Platz angekommen, wird der Umzug mit seinen festlichen Farben und seinen wehenden Fahnen von verschiedenen Einheiten der Stadt angeführt: von sechs bewaffneten Soldaten, der Musikkapelle der Stadt, den Volksvertretern mit den Fahnen aller Gemeinden der alten Republik Siena, Vertretern der Gilden und der Universität Siena und schließlich Vertretern von Massa Marittima und Montalcino (zwei Gemeinden, die in der Geschichte Sienas eine wichtige Rolle spielten). Es folgen die contrade, jede vertreten durch zwei Pagen, zwei Fahnenschwinger und einen Trommler, dahinter der Reiter, der auf einem Pferd sitzt, das von einem Stallknecht geführt wird. Dann kommen der Hauptmann und schließlich das Rennpferd, geführt vom barbaresco. Während des gesamten Umzugs schwenken die Fahnenschwinger ihre Fahnen und zeigen spektakuläre Figuren und choreografische und athletische Meisterleistungen. Diese Fahnenschwinger sind die Publikumslieblinge. Ihre virtuosen Leistungen sind das

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