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Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt

Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt

Titel: Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dario Castagno
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scheint, dass in Italien jedermann einen Hund besitzt«, bemerkt ein Kunde, und am nächsten Tag will ein anderer wissen: »Weshalb haben die Italiener keine Hunde?« Ein Kunde beglückwünscht mich zu den gut bestellten und klar beschilderten Straßen, und am Tag darauf beschwert sich sein Landsmann, weshalb niemand die Straßen instand hält und warum alle Schilder irreführend sind. »Weshalb sind alle Frauen hier so schön?«, will einer wissen. »Woher kommt es, dass alle Italienerinnen so hässlich sind?«, fragt der Nächste. »Ihre Männer sind so gepflegt!« »Sind alle Italiener so durchschnittlich und schlecht gekleidet?« »Italiener sind so freundlich und hilfsbereit!« »Weshalb sind die Leute hier so hochnäsig, wenn ich sie um Hilfe bitte?«
    Es ist einfach – und wohl auch natürlich -, solche Verallgemeinerungen aufzustellen. Wer hat nie den Fehler begangen, auf einer Reise eine ganze Nation nach dem Verhalten weniger einzelner Einwohner zu beurteilen. Aber als Eingeborener fühle ich mich trotzdem beleidigt. Oft haben Kunden sich über die Sienesen wegen eines oder zwei kurz angebundenen Kellnern ein unfreundliches Urteil gebildet. Aber wie viele Sienesen arbeiten überhaupt als Kellner? Und wie viele von diesen wenigen sind tatsächlich Sienesen? Viele Restaurantangestellte sind heutzutage Einwanderer. Schneide ich dieses Thema an, weil ich Streit suche, oder ist es ein ernsthafter Versuch, die oberflächlichen Äußerungen meiner Kunden durch weitere Beobachtungen, Meinungen und Erfahrungen zu entschärfen? Seien Sie versichert – es ist natürlich das Letztere!
    In diesem Zusammenhang fällt mir etwas ein, das ich immer wieder beobachtet habe, nämlich dass das Personal in Italien die Leute widerspiegelt, die es bedient, sprich: Personal übernimmt die Haltung und das Betragen seiner Kunden. Aus diesem Grund beschweren sich rücksichtslose, unhöfliche Ausländer über die unfreundlichen Italiener. Anspruchsvolle Besucher kehren nach Hause zurück und behaupten, die Italiener seien nicht hilfsbereit. Laute Leute finden, die Italiener seien lärmig. Höfliche, weltoffene Reisende dagegen werden unweigerlich von uns begeistert sein.
    Nach einem angenehmen gemeinsam verbrachten Tag fragte ein Kundenpaar, ob ich ihnen ein elegantes Restaurant für das Abendessen empfehlen könne. Ich bestellte einen Tisch für sie im Restaurant eines Freundes. Ich war sicher, dass sie dort aufmerksam bedient und gut essen würden. Alle Bekannten, die ich dorthin geschickt hatte, waren absolut begeistert. Deshalb war ich erstaunt, als ich sie am nächsten Tag abholte und sie noch immer entrüstet waren wegen der schrecklichen Erlebnisse vom Vorabend. Sie hatten mit dem Personal gestritten und hätten sich beinahe mit dem Besitzer geprügelt, bis der Küchenchef sie schließlich persönlich zur Tür hinauskomplimentiert hatte.
    Ich traute meinen Ohren nicht. Wie konnte mein Freund sich so aufführen! Enttäuscht und verärgert fuhr ich nach unserem Ausflug in die Stadt, um ihn zur Rede zu stellen. Er saß im Hinterzimmer und trank ein Glas Prosecco. Als ich zu schimpfen anfing, bot er mir einen Stuhl an, riet mir, mich zu beruhigen, und goss mir ebenfalls ein Glas ein. Dann erzählte er mir, was am Vorabend geschehen war.
    Der Tisch für meine Kunden war auf neun Uhr abends bestellt. Sie erschienen aber erst zwei Stunden später, als das Restaurant leer war und die Küche im Begriff zu schließen. Der Besitzer, der wusste, dass es sich um meine Kunden handelte, wollte auf alle Fälle höflich sein und rief deshalb den Kellner zurück, der schon umgekleidet war und soeben nach Hause gehen wollte. Er legte den beiden die ellenlange Speisekarte mit den über sechzig verschiedenen Gerichten und hunderten von ausgezeichneten Weinen vor.
    »Die Signori«, fuhr mein Freund fort, »stellten mir unzählige Fragen über die Zusammenstellung der einzelnen Speisen, und ich erklärte ihnen alles ausführlich. Gegen Mitternacht fassten sie endlich ihren Entschluss. Und weißt du, was sie bestellten?« Ich hatte keine Ahnung, was auf seiner ganzen Speisekarte ihn derart in Rage bringen konnte. »Einen Cappuccino, Kopfsalat und eine Flasche Mineralwasser! Waren die noch zu retten? Ich war natürlich sehr beleidigt, aber ich versuchte trotzdem, die Ruhe zu bewahren, und sagte ihnen so höflich wie möglich, dass sie diese Sachen ohne weiteres in der Imbissecke nebenan hätten finden können!« Er unterbrach seine Erzählung

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