Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)
nicht sagst. Was ist hier los, Hal?«
Er ließ den Kopf sinken, wiegte ihn leicht hin und her. »Wenn ich das nur wüsste! Aber du musst mir vertrauen. Nach FBI -Art, ohne Kompromisse, wirst du hier nicht weiterkommen – genauso wenig wie vor zwei Jahren. Überlass das mir, und ich verspreche, ich werde alles regeln.«
Sie zog die Stirn kraus, hinter den Augen spürte sie einen stetig anwachsenden Druck. Verdammt, sie war stundenlang schmerzfrei gewesen, und jetzt würde sie den Preis dafür zahlen müssen. Wenn dieser Migräneanfall auch nur annähernd so schlimm oder verwirrend wie der letzte wurde, dann hätte sie sowieso keine andere Wahl, als Hal zu vertrauen, damit er zu Ende brachte, was sie begonnen hatte.
Hal legte ihr die Hand auf die Stirn, wischte ihre Sorgenfalten weg, als könnte er ihren Schmerz fühlen. »Schätze, wir haben Sarah genug Zeit gegeben.«
»Du meinst, ihnen genügend Zeit gegeben, sich ihre Geschichten zurechtzulegen.«
Er lief zur Tür, die Stiefel klackten auf dem Linoleumboden. Ihr blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.
* * *
Sam stolperte vollkommen orientierungslos durch den Nebel. Er suchte nach der Weggabelung, die ihn zurück zu Sarahs Haus führen würde, stattdessen kam er jedoch auf den Hauptweg, der zur Lake Road führte.
»Sam, hier drüben!«, rief ihn eine unbekannte Stimme, und er fragte sich, ob er vielleicht halluzinierte. Doch dann lösten sich zwei Schatten mit Fahrrädern aus den dünner werdenden Schwaden, sie winkten ihm zu. »Hier entlang!«
Er wusste nicht, ob er wegrennen und sich verstecken oder ihnen vertrauen sollte. Da erkannte er sie. » JD und –« Er stockte, der Name des Mädchens fiel ihm nicht ein.
»Julia, Mr Durandt. Julia Petrino.« Sie streckte ihm die Hand hin, als wären sie sich bei einem Empfang begegnet.
Er umfasste sie mit beiden Händen. »Julia, natürlich. Du hast dieses wunderschöne Sonett über die Indianerprinzessin und ihren Donnergott geschrieben. Und damit vor zwei Jahren den Schreibwettbewerb der Mittelstufe gewonnen. Meine Frau war damals sehr stolz auf dich.«
Trotz des sie umgebenden Dunstes konnte er sehen, wie sich eine zarte Röte auf ihrem Gesicht ausbreitete. »Das ist meine Lieblingsgeschichte – wie Ahweyoh sich in die Luft erhebt, fest davon überzeugt, dass die Liebe ihres Donnergottes sie retten wird«, sagte sie mit schüchternem Lächeln.
Sam kannte die Legende gut. »Sarah liebt diese Sage auch sehr.«
Er erinnerte sich daran, wie sie ihm zum ersten Mal von dem Liebespaar aus der Indianerlegende erzählt hatte. Oben auf dem Berggipfel, wo es sich anfühlte, als gehörte die Welt ihnen, als wäre alles möglich. Er hatte sich damals fest vorgenommen, ihr noch in der gleichen Nacht die Wahrheit zu sagen; als er ihrem Zauber erlag, war er zu dem Schluss gekommen, eine Frau wie Sarah könnte sich niemals in einen dämlichen, selbstsüchtigen Idioten wie Stan Diamontes verlieben.
In ihrer zärtlichen Umarmung und unter dem Schutz der Berge und des nächtlichen Sternenhimmels hatte er sich entschieden, ein anderer, ein neuer Mensch zu werden. Und am nächsten Morgen, als die Sonne die Gipfel mit ihrem goldenen Glanz verführt hatte, war er aufgestanden und hatte das letzte noch verbleibende Stück von Stan gesucht. Ein Foto von ihm beim Surfen, wie er in Oahu den großen Wellen nachjagte. Bis dahin hatte er diese Zeit immer für die glücklichste in seinem Leben gehalten.
Sam hatte die glühenden Kohlenreste ihres Lagerfeuers angefacht, das Foto in die tanzenden Flammen gehalten und dabei zugesehen, wie die Zungen an den Ecken leckten, sich ihre gelbe Farbe in ein tiefes Rot und dann ins Blaue wandelte, ehe sie gierig Stans Bild verschlangen. Kleine Aschesporen waren nach oben gestoben, aus der Schlucht hinaus, bis sie nicht mehr zu sehen waren.
Stan Diamontes war tot. Und Sam Durandt konnte sich auf das vor ihm liegende Leben freuen.
Nachdem er das Foto verbrannt war, hatte er Sarah geweckt. Die aufgehende Sonne tauchte sie in leuchtend goldrotes Licht. Sie hatten sich geliebt, und Sam waren die Tränen gekommen, während sie sich in der morgendlichen Kälte wärmend umklammert hielten.
Sam verdrängte die Erinnerung daran und konzentrierte sich wieder auf die zwei Jugendlichen vor ihm.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Julia.
Sam nickte, er konnte noch nicht wieder sprechen.
JD packte Sam am Arm, befühlte den Bizeps. »Wow!«, sagte er atemlos. »Was ist bloß mit Ihnen passiert, so
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