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Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)

Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)

Titel: Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Lyons
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sonnenbeschienene Lichtung zu einer Ansammlung der Fotos von einem Tatort. Nach einem weiteren Blinzeln kehrte die Realität zurück. Sarah kämpfte mit sich, bemerkte, dass sie nur durch den Mund atmete, wie um den Geruch des Todes nicht wahrnehmen zu müssen.
    Sie hielt die beiden Rucksackriemen so fest umklammert, dass ihr das Nylon in die Hände schnitt. Bereits viele Male war sie nach schlaflosen Stunden hierher geflüchtet, eingehüllt in den nächtlichen Nebel, und hatte versucht, auf die andere Seite zu gelangen, eins mit den Schatten zu werden.
    In einer dieser Nächte im letzten Jahr wäre es ihr auch beinahe gelungen. In jener Nacht hatte sie aufgegeben, sich entschieden, mit dieser Welt zu brechen und sich der nächsten anzuvertrauen.
    * * *
    30. August 2006
    Dies wird wahrscheinlich mein letzter Eintrag werden – wozu noch viele Worte, wenn wir bald zusammen sein werden? Entschuldige, wenn das hier schwer zu lesen ist, aber ich sitze unter einer Eiche auf der Lichtung über dem Damm. Du kennst den Ort. Du bist hier gestorben.
    Zumindest haben sich die Experten am Ende darauf geeinigt. Der einsetzende Regen hatte eine vollständige Untersuchung unmöglich gemacht, aber anhand der Fotos, die Hal am Tatort gemacht hatte, haben sie rekonstruiert, dass Du versucht hast, Josh zu retten, mit Damian Wright gekämpft hast, ihn auch ein wenig verletzen konntest, ehe er Dich umgebracht hat. Sie haben auch ein paar Fußspuren von einem Mann gefunden, der etwas Schweres getragen hat und langsam gelaufen sein muss. Aus unerfindlichen Gründen haben sie entschieden, Wright müsse Dich weggetragen haben, bevor er zurückkam, um Josh zu holen.
    Hal weiß nicht, dass ich all die Berichte der Spurensicherung gelesen habe. Er hält seine Kopien fest unter Verschluss und weigert sich, sie mir zu zeigen. Aber Alan ist an einen Durchschlag des FBI -Berichts gekommen – sie nennen das Informationsfreiheitsgesetz.
    Mich hat es jedenfalls verdammt befreit. Wenn Damian auch nicht mit mir sprechen, mir in die Augen sehen oder mir Dich und Josh zurückgeben will – ich weiß jetzt Bescheid.
    Heute ist es genau ein Jahr her. Dreihundertfünfundsechzig Tage – und Nächte, Gott, wie sehr mir diese elend einsamen Nächte verhasst sind, in denen ich unter kalte Laken krieche, meine Füße zu Deiner Seite des Bettes austrecke, wo sie nach Wärme suchen, doch nie welche finden.
    Nächte, die sich endlos hinziehen, viel zu lang und zu leer sind, als dass es ein menschliches Herz ertragen könnte. Nächte, die viel zu schnell den nächsten Tag heranbringen, an dem ich mit einem Knoten im Magen aufwache und es im Haus so furchtbar ruhig ist, viel zu still, und ich weiß, dass ich einen weiteren Tag lang so tun muss, als wäre ich am Leben, obwohl ich in Wahrheit innerlich tot bin.
    Während des Schuljahres war es einfacher. Ich bin meist länger geblieben, habe mich freiwillig für jede außerschulische Aktivität angemeldet, die es gab, und meine Wege so geplant, dass ich den Flur mit den Vorschulklassen und dem Kindergarten mied, denn überall um mich herum das Lachen der Kinder in Joshs Alter zu hören, war wie über ein Minenfeld zu laufen. Den Sommer habe ich entweder in überhitzten Autos, zu kalten Gerichtssälen oder schäbigen Motelzimmern verbracht. Eine Zeit lang hoffte ich wirklich, Dich da unten in der texanischen Hitze finden zu können, habe jede Sekunde damit verbracht habe, genügend Mut zu sammeln, um Damian gegenüberzutreten.
    Aber ich habe versagt. Und jetzt bin ich hier. Versunken im Nebel, für den der Snakehead bekannt ist, so dicht, dass man eine Machete bräuchte, um ihn durchzuschneiden – so hieß es früher jedenfalls immer. Jetzt kommt er mir gerade recht. Denn wenn meine Augen ihn nicht durchdringen, könnte er dann nicht auch Dich und Josh verbergen und jeden Moment freigeben?
    Da spricht der Wein aus mir. Du kennst mich – ein Glas, und ich pfeife La Paloma. Heute Nacht habe ich eine ganze Flasche geleert, bis auf den kleinen Rest, mit dem ich die Tabletten runterspüle.
    Ein Jahr. So lange soll die Trauerphase angeblich dauern. Sie geben einem nur ein Jahr. Sie. Wer sind die überhaupt, verflucht? Sie sollen zur Hölle fahren.
    Ich scheine mein Jahr vergeudet zu haben, jedenfalls habe ich gar keine Fortschritte gemacht. Es tut heute noch genauso weh wie in der ersten Nacht – vielleicht sogar noch mehr. Damals war ich noch ganz betäubt, habe es geleugnet, stand unter Schock. Jetzt sehe ich klar, bin

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