Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)
der kalte Schweiß aus.
Ehe sich die Übelkeit auswachsen konnte, konzentrierte Caitlyn sich wieder auf den Hopewell-Fall. Eines stand fest – wer auch immer Diamontes’ Spur verwischt hatte, musste reich sein. Sehr reich. Denn der Einzige, der auf seine Daten zugreifen und sich über derartig hohe Sicherheitsstufen hinwegsetzen konnte, um die darin enthaltenen Informationen zu löschen, war Jack Logan.
Und für Jack Logan zählten allein zwei Dinge in dieser Welt: Geld und Macht.
Mit zittrigen Fingern entledigte sie sich ihrer nass geschwitzten Kleider, stützte sich mit einer Hand am Waschbecken ab und streifte sich mit der anderen die Kakihose, das ärmellose Sweatshirt und die Unterwäsche ab. Nackt ging sie durch den Flur zum Schlafzimmer, wo sie sich die Laken über den Kopf zog, die Welt aussperrte.
Sarah Durandts schmerzverzerrtes und zugleich von tiefer Sehnsucht erfülltes Gesicht war das letzte, das Caitlyn vor sich sah, ehe sie sich endlich in den Schlaf flüchten konnte.
11
Als sie den Aussichtspunkt gegenüber von Hal Waverlys Haus oben bei den Lower Falls erreichten, war JD nass geschwitzt, ihm war heiß, und er hatte Bärenhunger. Da die Tagestouristen längst wieder weg waren, parkte kein einziges Auto auf der Freifläche. Die verpassen das Beste , dachte JD . Hier zu stehen, während die Sonne hinter den umstehenden Bergen versank, der rauschende Wasserfall die Erde unter den Füßen erbeben ließ, und dabei in den mit roten und goldenen Streifen durchzogenen Himmel zu schauen; noch dazu mit einem wunderschönen Mädchen an seiner Seite, was das Allerbeste war.
JD filmte Julia mit seinem kleinen Camcorder dabei, wie sie das Stativ der Digital-Spiegelreflexkamera ihres Vaters aufstellte. Anschließend breitete sie ein Handtuch aus, auf dem sie Servietten anordnete, während er sich um das Essen kümmerte. Einen der Hühnerschenkel verdrückte er sofort.
»Wo wurden sie zuletzt gesichtet?«, fragte ihn Julia.
Er wischte sich die fettigen Hände an der Jeans ab und faltete seine Landkarte auseinander. Die letzten Monate über hatten sie versucht, jede Beobachtung dieser mysteriösen Lichter zu dokumentieren, und da jetzt die Ferien begonnen hatten, würden sie die Erscheinung vielleicht endlich mit eigenen Augen sehen.
»Gestern Abend hat mein Dad welche bemerkt. Am Staudamm und östlich vom See. So gegen Viertel vor zehn und dann noch mal eine Stunde später, hat er gesagt.«
»Und zwei Nächte vorher hat Mrs Patterson sie bei der Rattlesnake Pike , also direkt unter uns, gesehen.«
»Genau. Außerdem habe ich diese E-Mail bekommen, in der steht, dass einigen Kindern, die mit dem Bus auf Kirchenfahrt hier durchgekommen sind, Lichter am Devil’s Elbow aufgefallen sind. Allerdings konnte mir keiner von ihnen Näheres berichten, also bin ich nicht sicher, ob das als Sichtung zählt.«
Er hob den Blick vom Boden. Gott, er liebte diesen Schmollmund, den sie immer dann aufsetzte, wenn sie angestrengt über etwas nachdachte, sodass sich ein kleines Grübchen an ihrem Kinn bildete. Julia war die Einzige, die sein Projekt ernst nahm. Selbst sein Dad hielt es für Verschwendung, den ganzen Sommer über nach den Lichtern Ausschau zu halten, obwohl er sie selbst gesehen hatte. Und von dem Dokumentarfilm über dieses rätselhafte Phänomen hielt er schon gar nichts.
Julia hatte sich im Schneidersitz vor ihn hingesetzt. Wie zum Teufel stellte sie das bloß an? Im einen Moment stand sie noch, im nächsten verknotete sie lässig die Beine, als würden die Regeln der Schwerkraft für sie nicht gelten. Als sie nach dem Grillhühnchen langte, berührten sich ihre Knie. Der Anblick, wie sie ganz ungeniert in das Stück Fleisch biss, faszinierte JD .
»Ich finde«, sagte sie und wischte sich den Mund mit einer Serviette ab, »wir sollten versuchen, an einen dieser Timer oder an einen Bewegungssensor heranzukommen. Die Lichter werden schließlich überall gesehen, und wir können die Augen ja nicht überall gleichzeitig haben.«
Also er könnte schon – wenn das bedeutete, lange Sommernächte eng an Julia geschmiegt hinter der Kamera zu verbringen. Bislang hatten sie stundenlang so versucht, die sagenumwobenen Lichter auszumachen, jedoch nie etwas gefunden. Sollten sie nicht bald etwas vor die Linse bekommen, dann war sein Dokumentarfilm zum Scheitern verurteilt.
»Wir kommen anscheinend immer einen Tick zu spät«, sagte er. Prüfend betrachtete er das Muster der Sichtungen auf seiner Karte und
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