Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)
war, doch das störte sie nicht sonderlich. Bislang hatten die Autobahnpolizisten, an denen sie vorbeigerast war, ohnehin mehr Interesse daran gezeigt, den Verkehr im Fluss zu halten, als Strafzettel auszustellen.
Kurz hinter East Brunswick klingelte ihr Handy. Sie schaltete die Freisprechanlage ein. »Tierney«.
»Caitlyn«, sagte eine Stimme so samtig weich wie die kalifornische Sonne, »wie geht’s dir, Mädchen?«
»Hallo, Royal, danke, dass du zurückrufst!« Royal Hassam war Staatsanwalt in L. A. und ein alter Freund. Außerdem der Einzige, dem Caitlyn genügend vertraute, um ihn nach Insiderinformationen über Stan Diamontes’ Verwicklung in den Korsakov-Fall zu fragen.
»Wann kommst du endlich mal hierher und verbringst eine Woche mit mir am Strand? Wir könnten nach Big Sur rausfahren, frische Luft, Sonnenschein, der Ozean und keinerlei Bürointrigen.«
»Klingt wirklich verlockend, aber ich muss erst diesen Fall abschließen. Konntest du irgendetwas über Korsakov oder Diamontes herausbekommen?«
»Jawohl, Ma’am. Seltsamer Zufall. Korsakov steht heute vor Gericht. Mein Chef steht kurz vorm Herzinfarkt.«
»Weshalb?« Caitlyn erspähte einen Rastplatz und schoss auf die Ausfahrt zu. Sie ließ den Wagen ausrollen und konzentrierte sich ganz auf das Gespräch.
»Seine Verurteilung droht an einer Formalität zu scheitern. Und ohne Diamontes’ Aussage können wir ihn nicht wieder vor Gericht bringen. Die haben wir natürlich nicht, da Diamontes tot ist.«
»Also ist Diamontes tatsächlich Sam Durandt.«
»Liebes, selbstverständlich ist er das. Du solltest das doch wissen – dein ehemaliger Vorgesetzter, Jack Logan, war schließlich derjenige, der sich um Diamontes gekümmert und ihn vor sieben Jahren im Zeugenschutzprogramm untergebracht hat.«
Caitlyn pfiff zwischen den Zähnen hindurch. Sie hatte versucht, Logan zu kontaktieren, aber entweder war er nicht zu erreichen, oder er wich ihren Anrufen aus. »Schätze, das hat er vergessen zu erwähnen, als wir gemeinsam an dem Fall Durandt gearbeitet haben.«
»Und ich dachte immer, bei uns wäre das Betriebsklima schlecht. Wenigstens legen wir uns nur mit den Kollegen aus den anderen Staaten an – und hauen uns nicht gegenseitig in die Pfanne.«
»Immer schön aufpassen, Royal.« Man wusste ja nie, wer vielleicht noch mithörte. Sie wollte weder, dass Royal wegen ihr in Schwierigkeiten geriet, noch dass jemand in Quantico oder vom Militär etwas von ihrem Gespräch erfuhr. Denn bis jetzt hatte sie keinerlei Beweis dafür, dass eine Straftat vorlag. Nur eine ganze Reihe übler Verdächtigungen.
»Schon gut. Ich rufe vom Handy aus an. Tatsächlich jogge ich gerade den Strand entlang. Hier, hör mal!« Anscheinend hielt er das Mobiltelefon zum Meer hin, denn sie hörte nur noch statisches Rauschen. Caitlyn drückte die Handflächen auf ihre Leinenhose, streckte den Rücken und dehnte sich, so gut es ging, in ihrem Sitz. Schon war Royal wieder in der Leitung. »Erinnerst du dich zufällig an die Zeitverschiebung? Hier ist es noch nicht mal sechs Uhr morgens, viel zu früh für die ›hohen Tiere‹.«
»Trotzdem ist es heikel. Um keinen Verdacht auf dich zu lenken, sollte besser niemand mitbekommen, dass du Fragen über Diamontes stellst.« Schlimm genug, dass Caitlyn durch ihre Nachforschungen die eigene Karriere aufs Spiel setzte, sie musste nicht auch noch die von Royal zerstören.
»Keine Sorge. Hier sind alle nur mit Korsakov beschäftigt. Du würdest nicht glauben, was der Kerl alles verbrochen hat. Ich hab ja schon einiges gesehen beim organisierten Verbrechen, aber da dreht sich mir der Magen um. Der Typ ist so etwas von krank.«
»Doch bei dem Prozess geht es nur um Geldwäsche, nicht wahr? Die Mordanklage ließ sich wohl nicht halten.« So viel hatte Caitlyn vergangene Nacht im Internet herausfinden können.
»Ja, denn allein die unbestätigte Aussage von Diamontes hat die Jury einfach nicht überzeugt.
»Lass mich raten. Alle anderen Zeugen waren tot.«
»Oder verschwunden. Diejenigen, deren Leichen wir gefunden haben, nun, sagen wir mal, sie sind nicht gerade friedlich entschlafen. Die Autopsieberichte lesen sich wie Drehbücher zu einem kranken Slasherfilm.«
»Spuren am Tatort?«
»Nein. Dieser Russe Korsakov ist ein schlauer Bär.« Er lachte über sein Wortspiel.
»Kannst du mir außer den Prozessmitschriften noch andere Infos zu Stan Diamontes weiterleiten?«
»Ich werde dir das einzige Foto mailen, das ich von ihm
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