Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)
zum Teufel Leo Richland ist?«, fragte er, und seine Stimme dröhnte durch den engen Raum. »Scheint mir das Mindeste, wenn man bedenkt, dass ich plötzlich zuständig für die Ermittlungen in seinem Mordfall bin.«
22
Sarah schlug die Augen auf. Sie lag vollständig bekleidet auf ihrem Bett, mit einem kalten Waschlappen auf der Stirn. Schwarze Flecken tanzten vor ihren Augen, und ihr brummte der Schädel. Die Matratze seufzte leicht, als sich Alan neben ihr hinsetzte. Mit besorgtem Blick strich er ihr über die Wange.
»Fühlst du dich besser?«
Sie nickte und versuchte, sich aufzusetzen, aber sofort wurde ihr schwindelig. Alan griff hinter ihren Rücken und stapelte ein paar Kissen auf, damit sie sich anlehnen konnte.
»Verdammt, du hast mich zu Tode erschreckt«, sagte er. Überrascht schaute sie zu ihm auf. Alan fluchte sonst nie. »Ich habe Dr. Hedeger Bescheid gesagt.«
»Ruf ihn noch mal an«, sagte sie mit schwacher Stimme. »Sag ihm, dass es mir gut geht!« Sie schwang die Beine zur Seite und setzte sich auf. Er legte ihr als Stütze einen Arm um die Schulter. »Es sei denn, er hätte ein Mittel gegen Dummheit.«
»Das ist meine Schuld. Ich hätte dir niemals Wein einschenken sollen.« Seine Finger beschrieben kleine Kreise auf ihrem nackten Arm. »Daran lag es doch, habe ich recht? Ich meine, du würdest mir doch sagen, wenn sonst was passiert wäre, oder, Sarah?«
Ihr fielen die Worte auf dem Spiegel wieder ein. Sofort schnürte sich ihr der Magen zusammen. Sie rang nach Luft und kämpfte mit den Tränen. Wenn Sam noch am Leben war, dann doch sicherlich auch Josh?
»Sarah? Alles klar?«
Sie nickte, doch in ihrem Kopf wirbelten die Gedanken nur so durcheinander. Sam lebt, Josh lebt, warum, wie, wo, weshalb – oder war das alles nur ein kranker Scherz? Nein. Niemand sonst kannte den Spitznamen, den sie Sam gegeben hatte.
Ohne Alan weiter zu beachten, starrte sie an ihm vorbei, und ihr Blick fing sich in den glänzenden blau-weißen Kacheln des Badezimmers weiter hinten.
Hatte sie sich das alles vielleicht nur eingebildet? Möglicherweise hatten ihr die Müdigkeit und der Wein den Verstand vernebelt, bis sie sah, was sie sehen wollte? Sie stand auf, taumelte ein, zwei Schritte nach vorn, dann ging sie entschlossen auf das Badezimmer zu. Alan kam ihr nach.
»Sarah, was ist denn los?«
Auf dem Spiegel war nichts zu sehen. Natürlich nicht. Sie drehte das heiße Wasser auf.
Alan hielt sie an der Hüfte zurück, weil sie beinahe in eine Scherbe getreten wäre. »Was tust du da? Lass mich zumindest erst mal hier aufräumen.«
Sie lehnte sich ans Waschbecken, bis ihr Gesicht dicht vor dem Spiegel war und hauchte ihn an. Er beschlug, zeigte jedoch keinerlei Buchstaben.
»Nichts.« Das Wort brach gegen ihren Willen aus ihr heraus, aber nachdem sie es ausgesprochen hatte, konnte sie es nicht länger leugnen. »Da ist nichts.«
Alan blickte sie scharf an. »Jetzt machst du mir wirklich Angst. Was hast du denn erwartet, dort zu sehen?« Er zog sie vom Waschbecken weg, langte an ihr vorbei zum Wasserhahn, drehte ihn ab und führte sie zurück ins Schlafzimmer. Dort bugsierte er sie wieder aufs Bett. »Sieh dich an; du bist vollkommen durcheinander. Und erschöpft. Du musst mal eine Nacht richtig durchschlafen. Und keine weiteren Klettertouren mehr auf dem Berg, so ganz allein.«
Sie schwieg, starrte auf die kleinen Dampfwölkchen, die aus dem Badezimmer strömten. Alan kniete vor ihr, versperrte die Sicht. Er nahm ihre Hand in seine, und als sie endlich zu ihm nach unten schaute, trafen sich ihre Blicke. »Versprich mir das! Nie wieder. Ich könnte es nicht ertragen, wenn dir etwas zustößt.« Er drückte ihre Hände. »Bitte, Sarah! Versprich es mir!«
»Na schön, Alan. Ich verspreche es.«
* * *
Nachdem JD ihre Fahrräder in einem dicken Gerberstrauch versteckt hatte, drehte er sich zu Julia um. Sie breitete mitten auf der Lichtung eine Decke aus. Von diesem Punkt aus konnten sie jeden sehen, der sich der alten Hütte näherte oder den Weg vom Höhenzug zum Damm hinunterkam.
»Was hast du deinen Eltern erzählt?«, fragte er sie und wischte sich die verschwitzten Handflächen hinten an der Jeans ab. Es war schon ganz schön aufregend, mit ihr gemeinsam die Nacht zu verbringen. Wollte sie wirklich nur nach diesen rätselhaften Lichtern suchen? Oder erwartete sie mehr von ihm – und falls ja, wie sollte er bloß den ersten Schritt machen, ohne wie ein Trottel dazustehen?
»Hab gesagt, dass ich
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