Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)
welchem Druck er stand. Sam hatte ihn nur ein einziges Mal derartig entnervt erlebt, und zwar vor seiner Aussage im Korsakov-Prozess. Es war dem Anwalt jedoch gelungen, sich aus der Sache herauszulavieren und dabei sowohl seinen Brötchengeber als auch sich selbst zu schützen.
Die Sorgenfalte war rasch wieder verschwunden und Alans gewohnt selbstgefällig überlegener Gesichtsausdruck kehrte zurück. »Nein. Du holst den Jungen und bringst ihn hierher.«
Nie im Leben würde Sam das tun. Schon gar nicht jetzt, da Alan offensichtlich von allen guten Geistern verlassen und Korsakov bereits auf dem Weg hierher war. »Ich gehe nirgendwohin, ehe ich nicht mit Sarah gesprochen und sie wohlbehalten von hier weggebracht habe. Weit weg von Korsakov.«
Alan wiegte betrübt den Kopf hin und her. »Geht nicht. Diese kleine Lady ist mein Ass im Ärmel.« Er klopfte mit der Pistole auf das Autodach, der dumpfe Laut ließ Sam vor Angst erstarren. »Ich mag Sarah wirklich. Aber wenn ich das Geld nicht in vierundzwanzig Stunden habe, werde ich Korsakov verraten, wo er sie findet. Vor jemandem wie ihm wegzulaufen, ist sinnlos. Sie wird sterben und dich mit ihrem letzten Atemzug verfluchen.«
Sam schluckte. Selbst jetzt war Alans Stimme völlig gefühllos, er hatte keine Miene verzogen. Sam wollte etwas sagen, aber der dicke Kloß in seinem Hals hinderte ihn daran. Unweigerlich hatte er Bilder von Sarah vor Augen, Sarah mit abgezogener Haut, und ihre gellenden Schreie hallten in seinem Innern wider.
»Und denk nicht einmal dran, mich umzubringen«, fuhr Alan fort. »Wenn mir etwas zustoßen sollte, stirbt Sarah.«
Alan öffnete die Autotür. »Wo wir uns nun einig sind, steigst du jetzt besser ein. Wir werden das gemeinsam durchziehen.«
Wenn Sam zuließ, dass Alan die Kontrolle übernahm, war er bereits so gut wie tot. Sarah wahrscheinlich ebenfalls. »Nein.«
Alan fuhr hoch, überrascht, dass Sam sich ihm widersetzte. »Entschuldige bitte? Willst du wirklich, dass ich Sarah herhole? Sie hier und jetzt erschieße?«
Jetzt war es an Sam zu lächeln. Ein falsches Grinsen, das ihm nur mit großer Mühe gelang. »Das kannst du nicht, Alan. Sie ist dein Ass im Ärmel. Ich brauche nur ein wenig Zeit. Ich werde dich morgen Abend wieder hier treffen.«
»Das reicht mir nicht. Bis dahin könnte Korsakov schon hier sein. Warum sollte ich riskieren, dich aus den Augen zu lassen?«
»Was hast du denn zu verlieren? Du hast immer noch Sarah. Und du weißt, ich würde nicht zulassen, dass ihr etwas zustößt.«
»Wenn du bis Mitternacht nicht hier aufgetaucht bist, dann schwöre ich, bringe ich sie eigenhändig um, Geld hin oder her.«
Sam wurde von blinder Wut gepackt, ihm rauschte das Blut in den Ohren. »Das wird nicht passieren, Alan.«
»Keine faulen Tricks, ich warne dich. Das ist ein Versprechen, alter Freund. Nur eine falsche Bewegung, und Sarah stirbt.«
26
Caitlyn und Hal waren inzwischen bei Hals Geländewagen angelangt. Die Nacht war hereingebrochen, die Leichenhalle ragte in der Dunkelheit über ihnen auf und warf bedrohliche Schatten. Dieses Mal ließ sie sich beim Einsteigen von Hal die Tür aufhalten und ergriff seine Hand, um sich auf den Beifahrersitz helfen zu lassen. Er breitete ihren Blazer über dem Rücksitz aus, neben seinem schwarz-blauen Neoprenanzug nahm er sich geradezu zwergenhaft aus.
»Sie wirken immer noch ein bisschen angeschlagen, ist Ihnen übel?«, fragte er, noch immer in der Tür, ihre Hand in seiner…
Durch den hohen Sitz konnte Caitlyn ihm endlich in Augenhöhe begegnen. »Ein wenig«, gab sie zu und war selbst davon überrascht.
»Darf ich etwas ausprobieren?« Schon hatte er ihr Handgelenk umfasst und suchte mit den Fingern zwei Schmerzpunkte.
Zunächst spürte sie nur den festen Druck auf ihren Handgelenksknochen. Dann jedoch verging allmählich die Übelkeit, so wie sich Bäume der kühlen Brise der Bergwinde beugen.
Sie schnappte nach Luft. Zum ersten Mal seit zwei Jahren war sie von dem ständigen Aufruhr in ihrem Magen befreit. Hal lächelte, und als er zum Fahrersitz hinüberschlenderte, knirschte der Kies unter seinen Stiefeln wie bei einem Revolverhelden.
»Wie haben Sie das gemacht?«, fragte sie, nachdem er eingestiegen war und sie wieder den Berg hoch in Richtung Hopewell lotste.
»Meine Frau, Lily, sie hat mir lauter solche Dinge beigebracht. Ganzheitliche Medizin. Wir haben Yoga-Seminare besucht, Akupressur, Tantra-Sex und Kräuterheilkunde gelernt. Sie hatte sogar einen
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