Total bedient: Ein Zimmermädchen erzählt (German Edition)
wird. Aber irgendeine für den Selbstbetrug zuständige Hirnregion sagte mir, dass ich dauernd in schicker Garderobe übers Deck flanieren und einen Sundowner nach dem nächsten trinken würde. Die fürs Finanzielle zuständige Hirnregion meldete sich auch: Im Royal verdiente ich
neunhundert Euro netto, auf so einem Schiff sollten es tausenddreihundert Euro sein. Dass ich dafür auch erheblich länger würde arbeiten müssen, verdrängte ich lieber.
Meine neue Chefin, sie hatte das Schiff gechartert und führte die Firma mit ihrem Mann, hat mich im Vorstellungsgespräch keinesfalls betrogen: Sie sagte mir, wann ich Pause haben würde – zweieinhalb Stunden am Nachmittag –, und den Rest konnte ich mir selber denken. Der Rest war Arbeit. Gearbeitet wurde an sieben Tagen in der Woche.
Und so kam es, dass ich auf der Morgentau anheuerte, einem deutschen Flusskreuzer, auf dem gerade mal vierundzwanzig zumeist wohlhabende Gäste Platz fanden. Die erste Route sollte nach Paris gehen. Paris!
Eine »Allround-Stewardess« hatten sie gesucht, so stand es in der Stellenanzeige im Internet. Das hörte sich besser an als »Mädchen für alles«. Waren Stewardessen nicht diese engelsgleichen Wesen, für die ich im Royal die Zimmer machte? Vielleicht stand mir ja doch ein Karriereschritt bevor? Konnte es nicht sein, dass es einfach nur ein ganz, ganz toller Job sein würde? Ich war zu allerhand Optimismus bereit.
Meine Mutter fuhr mich in ihrem roten Fiat 500 zum Bahnhof Zoo und verabschiedete mich so herzlich, dass ich am liebsten gesagt hätte: »Ach, Mama, ich bleibe hier.« Aber sie war so stolz auf mich, und dieses Gefühl gönnte ich ihr.
Die Morgentau versprach »höchsten Luxus auf kleinstem Raum«, so nannte die Chefin ihr Konzept. Auf dem
Hauptdeck befanden sich Bar, Restaurant, Küche und ein Außenbereich mit Pool und Terrasse für den Cocktail am Abend, darüber lag das Oberdeck mit sechs Kajüten und ganz oben war das Sonnendeck. Wände und Mobiliar waren im gleichen Farbton gehalten, Nussholz massiv. In den Ecken standen goldene Lampen und mit leuchtenden Stoffen bespannte Clubsessel, hinter der Bar glänzten Gläser, und das Tischtuch auf dem Buffet war so weiß, dass es schwer fiel, es mit Rühreikrümeln und Kaffeeflecken in Verbindung zu bringen. Auf das Sonnendeck mit vierundzwanzig Liegestühlen gelangte man über eine Wendeltreppe. Hier sah es tatsächlich ein bisschen so aus wie bei Sascha Hehn, dem Chefsteward meiner Kindheit.
Die übrigen sechs Kajüten lagen unter Deck und waren wie die oberen nach europäischen Häfen benannt. Es gab außerdem eine für die Chefs, eine für den Koch und seinen Gehilfen, und eine für Eva, die zweite Allround-Stewardess, und mich. Unser Zimmer war nicht nach einem Hafen benannt, es hieß »Personal I«.
Als mir Helga, die Chefin, unsere Kajüte zeigte, in der ich die kommenden acht Monate gemeinsam mit Eva schlafen würde, musste ich lachen.
Als die Morgentau vor einem Jahr in Berlin anlegte, stattete ich ihr mit meinem Freund einen Besuch ab. Ich wollte sie ihm zeigen, in einer Mischung aus Masochismus und Stolz: Schau her, hier habe ich es so lange ausgehalten. Er war tief beeindruckt von der Koje, die sich damals mein Bett nannte. »Du veräppelst mich«, wiederholte er immer wieder, weil er es entweder nicht glauben
wollte oder es tatsächlich nicht glauben konnte, dass wir es auf so kleinem Raum zu zweit aushielten.
Waren es acht Quadratmeter? Oder doch neun? In jedem Fall war es wenig Platz für zwei Frauen, die auf eine gepflegte Garderobe Wert legten – und Wert legen sollten. In dem Raum, dessen peinliche Sauberkeit mir sofort angenehm auffiel, stand ein Etagenbett aus massivem Holz, und weil auf dem unteren Bett ein paar Lockenwickler lagen, warf ich einen skeptischen Blick auf die obere Etage. Im Reckturnen war ich nie sonderlich gut gewesen.
Zwischen Bett und Tür war ein Einbauschrank, der an Land nicht mal für eine Person gereicht hätte, außer für einen Soldaten in der Kaserne vielleicht. Ich verstand sofort, warum meine neue Mitbewohnerin die Trittleiter des Etagenbetts als Kleiderstange nutzte. Den Rest, den wir so brauchten, Schminktaschen, Schuhe und Glätteisen, verteilten wir auf dem Boden. Ins Bad passte all das nämlich nicht mehr. Um dorthin zu gelangen, mussten wir unsere Schritte jedenfalls sehr gezielt setzen. Nie wurde meine Motorik besser geschult als in dieser Kajüte. Ich hätte danach sicher auch als Seiltänzerin
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