Total bedient: Ein Zimmermädchen erzählt (German Edition)
nicht länger als zwei oder drei Tage. Einmal faltete, kuvertierte und frankierte ich dreitausend Briefe in vier Tagen, und das war keinesfalls der anspruchsloseste Job.
Ich lernte an allen möglichen Vollautomaten Kaffee zu kochen. Jura, Saeco und Gaggia, wie sie alle heißen, diese Monstermaschinen, ohne die kein Büro mehr auskommt, und die dauernd kaputtgehen. Chefs, die morgens keinen Kaffee bekommen, sind auch nicht viel besser als Hotelgäste, die keinen Käse bekommen.
Mit den Kollegen ins Gespräch zu kommen, die Mühe lohnte meist nicht, zu schnell war man wieder weg, zu unwichtig war man im Tagesgeschehen, zu banal erschien den Kollegen, was ich tat. Und das war es ja auch: banal.
Was genau, dachte ich, läuft hier eigentlich schief? Mit ein bisschen mehr Geschick wäre ich jetzt auch einer dieser Büromenschen, jedenfalls glaube ich nicht, dass es mir an Fleiß oder Intelligenz mangelte, um es mit ihnen aufnehmen zu können. Aber stattdessen war ich diejenige,
die die kaputte Kaffeemaschine vom Netz nahm und ins Sekretariat wuchtete. Aus den Büros kam dann immer nur ein Stöhnen: »Oh nein, schon wieder kaputt, diese Scheißdinger.« Ja, genau, dachte ich, diese Scheißdinger.
Wenn ich sie so sah, die Versicherungsfrauen, die Werbefrauen, die Angestellten um mich herum, fragte ich mich manchmal, was sie eigentlich von mir unterschied. Gewiss, sie trugen die feineren Sachen. Ihre Einkaufstaschen, die sie von den Mittagspausen ins Büro mitbrachten, waren niemals von C&A, auch nicht von H&M. Zara war schon ein Ausrutscher ins Billigsegment, Marco Polo war gerade noch okay. Manche trugen Schals, wie ich sie aus dem Royal kannte.
Aber warum waren die in der Lage, sich diese französischen Seidenschals zu kaufen, und ich nicht? Wer macht eine Ausbildung in einem Hotel und wem käme so etwas nie in den Sinn? Lag es an den Eltern? Meine Eltern waren beide keine Akademiker, die Eltern von Sara und Katja auch nicht, auch sonst wusste ich von keiner Hausdame und keiner Rezeptionistin, dass sie aus einem Professorenhaushalt kam. Die meisten Eltern waren mittlere Angestellte, Handwerker, Arbeiter. Wenn dann das Kind ins Fünf-Sterne-Hotel zur Arbeit geht, ist das für viele Eltern ein Aufstieg: Schau, die Kleine geht ins Luxushotel. Zu den Reichen, den Erfolgreichen.
Als ich mit meiner Mutter und meinem Bruder alleine lebte, war ich mir für keine Hausarbeit zu schade. Das unterschied mich, glaube ich, damals schon von manchen Mitschülern. Ich konnte es mir jedenfalls nicht leisten, irgendeinen Abiturientendünkel zu zeigen. »Mama
Anna« hat mich mein Bruder genannt. Ich putzte, spülte ab, kochte. Ich fand nie etwas Falsches daran. Ich fand auch später nichts falsch daran, anderer Leute Betten zu machen. Vielleicht war das der Fehler.
Tatsächlich gefiel mir ja manchmal die Arbeit in den Zimmern – und, ja: Ich habe ein Faible für alles Häusliche. Zum ersten Mal kam mir in den Sinn, dass zwischen meinem alten Traum, Immobilienkauffrau zu werden, und dem Housekeeping ein Zusammenhang besteht. In beiden Fällen sorgt man dafür, dass sich andere Menschen zu Hause fühlen. Ich hatte das Putzen immer ernst genommen. Ich finde es schön, wenn ein Zimmer ordentlich und aufgeräumt ist. Ich möchte selbst in einer ordentlichen Wohnung leben und ich kann verstehen, dass ein Gast, wenn er im Hotel ist, ein schönes Zimmer vorfinden möchte. Wer mag schon seine Sachen in den Staub der Nachlässigkeit stellen und sich dann einen schönen Abend machen.
Manchmal schaue ich mir im Internet Hotelzimmer aus aller Welt an. Wenn ich sehe, dass auf dem Foto die Bettlaken nicht ordentlich gespannt sind, dass sie knittern und Falten werfen, dass die Kissen nicht gerade stehen, sondern eine Kissenecke nach vorne und die andere nach hinten zeigt, wenn ich sehe, dass die Naht des Lampenschirms nicht zur Wand, sondern ins Zimmer zeigt, dann würde ich am liebsten zum Telefon greifen und anrufen, um das Hotel zu bitten, das mal zu richten. Im Ernst: Ich würde nie ein Zimmer buchen, das so präsentiert wird. Man lässt sich ja auch nicht mit offener Hose fotografieren, wenn man Geburtstag hat.
Meine Mutter, geschieden, Siebziger-Jahre-Jugend, Sängerin in einer Band, Modedesign-Studentin, viel gereist, durch Thailand, Marokko, Griechenland – sie sagte oft den Satz zu mir, den wahrscheinlich eine ganze Reihe Mütter zu ihren Töchtern sagt: »Mach dich nie von einem Mann abhängig.« Sie hört es nicht gerne, aber ich kann
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