Total bedient: Ein Zimmermädchen erzählt (German Edition)
es mir sehr gut vorstellen, einen Mann und eine Familie zu haben und dann zu Hause zu bleiben bei den Kindern.
Für mich ist Harmonie wahnsinnig wichtig. Ich hasse es, wenn zwei Menschen sich streiten. Ich finde nicht nur lautstarke Diskussionen unerträglich, mir reicht es schon, wenn sich Paare in der Öffentlichkeit streiten. Da möchte ich sofort rufen: Seid lieb zueinander, aber sofort. Manchmal rufe ich das auch, und dann schauen die Leute irritiert, weil sie gar nicht gemerkt haben, dass sie gerade dabei waren, Bosheiten auszutauschen.
Vielleicht dachte ich zu Beginn der Ausbildung ja wirklich irgendwo im Hinterkopf, dass ich im Hotel genau das tun könnte: fremden Menschen zu ein bisschen Harmonie verhelfen.
Dass es in Hotels in Wahrheit überhaupt nicht harmonisch zugeht, weil der Ton unter den Angestellten rau ist und weil viele Gäste gar kein Bedürfnis nach Harmonie haben, merkte ich erst nach und nach. Aber war ich darum auch eines dieser stummen Mädchen, die im Royal überall herumwuselten, die schweigend und schüchtern die Zimmer machten oder in der Küche halfen, und die mich immer wahnsinnig an kleine graue Mäuse erinnerten?
Ich denke nicht. Aber inzwischen habe ich sogar ein bisschen Angst, dass es doch meine freundliche Art ist,
die meiner Karriere im Weg stand. Im Hotel jedenfalls, und vermutlich nicht nur dort, machen eher die Frauen Karriere, die wahnsinnig tough sind, hart und streitlustig wie die Männer. Auch den Chefs gegenüber. Die es darauf anlegen, den Ton anzugeben, die Konflikte suchen und sie mit den Ellenbogen lösen und die sich so Respekt erarbeiten. Die, die wie ich versuchen, nett und freundlich zu sein, machen keine Karriere.
In meiner ganzen Hotelzeit ist mir nicht eine Frau begegnet, die es durch ihre faire, ausgeglichene Art, gepaart mit Intelligenz und Organisationstalent, in die Hotelleitung geschafft hätte. Viel mehr Erfolg verspricht die Kombination: extrem zickig und extrem gut aussehend. Oder man schläft gleich mit dem Chef.
Sicher mehr als die Hälfte der Frauen im Hotel erhalten früher oder später das freundliche Angebot, auf diesem Wege an einen besseren Job zu kommen. Das Angebot zum karrierefördernden Beischlaf ergeht stets wenig subtil. Nadine hatte in ihrer Ausbildung eine Kollegin, die wahnsinnig gerne für ein paar Monate nach New York ins Schwesterhotel der Kette wollte. Sie blieb dann da, weil sie sich das Ticket persönlich vom Chef hätte abholen müssen. Der Schlüsselsatz hieß dabei: »Wir könnten dann ja auch mal privat was zusammen machen.« Wenn eine Frau im Hotel diesen Satz hört, weiß sie, was er bedeutet.
Vielleicht habe ich ja die eine oder andere Feminismusdebatte in den letzten Jahren verpasst, aber mir scheint, dass es im Großen und Ganzen darum geht, wie erfolgreiche Frauen, Akademikerinnen, endlich Beruf und
Familie miteinander vereinbaren können und wie noch erfolgreichere Frauen endlich in die Vorstandsetagen der großen Firmen gelangen. Ich habe nichts gegen diese Dinge. Ja, es kann sein, dass es auch diese Frauen nicht leicht haben mit den Männern. Aber könnte es nicht sein, ganz eventuell, dass es in den Berufen, die nicht mehr einbringen als zweitausend Euro im Monat, für Frauen noch etwas frauenfeindlicher zugeht? Dass Frauen dort noch am ehesten angemacht und angegrabscht oder gleich von ihren Chefs, den Gästen oder Kunden zum Sex aufgefordert werden?
Mir scheint, als interessierten sich die Frauen, die schick angezogen durch die Hotels schreiten, überhaupt nicht dafür. Jedenfalls habe ich es nie erlebt, dass im Restaurant eines Hotels eine Frau am Tisch mal etwas gesagt hätte, wenn der Kollege zum Hintern der Bedienung griff. Das waren wohl zufälligerweise alles keine Feministinnen.
Was ich auch nie erlebt habe in einem Hotel: dass mal eine von diesen Frauen stehen geblieben wäre und ein Zimmermädchen gefragt hätte: Wie ist das hier so? Was erlebt man? Was verdient man? Es passiert nicht. Es interessiert nicht.
Und trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen? – träumten Sara, Katja und ich von nichts mehr als davon, endlich Anschluss zu bekommen an die Welt der Halstuch-Frauen. »Assistenz der Geschäftsführung« – von dieser Stelle träumten wir jetzt alle, davon träumte Sara, davon träumte die Hälfte meiner Hotelfach-Klasse. Ein Job zwischen Chefbüro und Sekretariat, ein Job auf dem
halben Weg zu Hermès. In den Pausen auf der Hotelfachschule kursierten Geschichten von Assistentinnen,
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