Total Control (Das Labyrinth)
aufzuspüren? Es schien unmöglich. Es war, als hätte man sie schon die ganze Zeit beobachtet. Den weißen Kastenwagen hatte sie schon an der Tankstelle gesehen. Wahrscheinlich hätte der Angriff bereits dort stattgefunden, wären nicht rechtzeitig die Polizisten aufgetaucht.
Sie legte sich auf die Vordersitze und versuchte, die Nerven im Griff zu behalten. Dabei schob sie die Handtasche aus dem Weg und öffnete sie, nur um sicherzugehen, daß die Diskette noch da war. Die Diskette für ihren Vater. Doch war die Diskette erst weg, würde sie den Rest ihres Lebens auf der Flucht vor der Polizei fristen müssen. Zumindest so lange, bis man sie schnappte. Was für eine Wahl! Aber in Wahrheit hatte sie gar keine Wahl.
Sie richtete sich auf und wollte die Handtasche schließen. Mitten in der Bewegung hielt sie inne. Ihre Gedanken wanderten zurück zu jener Nacht, der Nacht in der Limousine. So viel hatte sich ereignet, seit sie damals mit knapper Not entkommen war. Doch eigentlich war sie gar nicht entkommen, oder? Der Mörder hatte sie laufen lassen und ihr sogar freundlicherweise die Handtasche zurückgegeben. Hätte er sie ihr nicht zugeworfen, sie hätte sie völlig vergessen. Damals war sie so froh darüber gewesen, mit dem Leben davonzukommen, daß sie nie wirklich darüber nachgedacht hatte, was ihn zu dieser bemerkenswerten Geste veranlaßt hatte .
Sidney begann den Inhalt der Handtasche zu durchwühlen. Es dauerte eine Weile, doch schließlich fand sie es, ganz unten am Boden. Es war in einen Schlitz im Saum gesteckt worden. Fassungslos hielt sie den Gegenstand hoch und starrte ihn an. Ein winziger Sender.
Ängstlich blickte sie sich um, als ihr ein Schauder über den Rücken lief. Dann startete sie den Wagen, legte den Gang ein und fuhr los. Weiter vorn stand ein zu einem Schneepflug umfunktionierter Müllwagen am Straßenrand. Sidney schaute in den Rückspiegel. Niemand war hinter ihr. Sie kurbelte das fahrerseitige Fenster herunter, rollte neben den Müllwagen und holte aus, um den Sender hinten auf die Ladefläche zu werfen. Dann besann sie sich ebenso rasch eines Besseren, hielt mitten in der Bewegung inne und kurbelte das Fenster wieder hoch. Den Sender hatte sie noch in der Hand.
Sidney trat aufs Gaspedal und ließ den Müllwagen hinter sich zurück. Sie blickte hinab auf ihren winzigen Begleiter der letzten Tage. Was hatte sie schon zu verlieren? Rasch fuhr sie auf die Stadt zu. Sie mußte den vereinbarten Übergabeort so früh wie möglich erreichen. Doch zuerst benötigte sie etwas aus dem Gemischtwarenladen.
Das Restaurant, das Sidney am Telefon erwähnt hatte, war voll mit hungrigen Gästen. Zwei Häuserblöcke von der vereinbarten Übergabestelle entfernt, stand der Cadillac mit ausgeschalteten Scheinwerfern am Straßenrand, neben einem mächtigen, von einem hüfthohen schmiedeeisernen Zaun umgebenen Baum. Im Inneren des Cadillac war es dunkel, die Silhouette des Fahrers kaum erkennbar.
Rasch liefen zwei Männer den Gehsteig entlang, während zwei weitere Männer ihre Bewegungen auf der gegenüberliegenden Straßenseite widerspiegelten. Einer blickte hinab auf ein kleines Gerät in seiner Hand; auf dem winzigen Bildschirm befand sich ein Raster. Ein rotes Licht blinkte auf dem Monitor; es wies unverkennbar auf den Cadillac.
Rasch umringte die Gruppe den Wagen. Eine Waffe wurde durch das ehemalige Beifahrerfenster geschoben, gleichzeitig wurde die Fahrertür aufgerissen. Völlig verblüfft glotzten die bewaffneten Männer den Fahrer an: einen Mop mit übergestülpter Lederjacke und einer Baseballmütze, die verwegen auf dem Stiel thronte.
Der weiße Kastenwagen parkte mit laufendem Motor an der Kreuzung Chaplain und Merchant Street. Der Fahrer blickte auf die Uhr, ließ den Blick über die Straße schweifen, danach betätigte er zweimal die Lichthupe. Hinten im Wagen lag Bill Patterson auf dem Boden, an Händen und Füßen gefesselt, den Mund mit Klebeband geknebelt. Als die Beifahrertür aufgerissen und eine 9mm-Pistole auf seinen Kopf gerichtet wurde, wirbelte der Fahrer herum.
Sidney stieg in den Kastenwagen. Kurz spähte sie in den Fond, um sich zu vergewissern, daß ihr Vater in Ordnung war. Durch das hintere Fenster hatte sie ihn bereits gesehen, als sie den Lieferwagen vor einer Minute entdeckte. Sie nahm an, daß die Entführer darauf vorbereitet sein mußten, ihren Vater tatsächlich freizulassen.
»Leg die Waffe auf den Boden. Ganz vorsichtig. Sollte dein Finger auch nur in die
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