Total verhext
klar? Ich kenne mich damit ebensogut aus wie du. Glaubst du etwa, daß ich mich damit nicht auskenne?« Sie beugte sich über das Mädchen. »Typisches Feenwerk«, grummelte sie. »Immer wollen sie Eindruck schinden. Und dauernd mischen sie sich ein, um bloß immer die Kontrolle zu behalten! Ha! Wie wär’s mit ein wenig Gift? Lassen wir die Leute hundert Jahre lang schlafen. Und das alles wegen eines lächerlichen Stichs. Als sei’s das Ende der Welt.« Sie unterbrach sich. Nanny Ogg stand direkt hinter ihr, und Oma konnte ihren Gesichtsausdruck nicht sehen. »Gytha?«
»Ja, Esme?« erwiderte Nanny unschuldig.
»Ich fühle dein Grinsen. Spar dir deine blöde Psychologie für jemand anders.«
Oma Wetterwachs schloß die Augen und murmelte.
»Soll ich den Zauberstab benutzen?« fragte Magrat.
»Wag es bloß nicht«, sagte Oma scharf und murmelte erneut.
Nanny nickte. »Die Wangen haben schon etwas mehr Farbe.«
Einige Minuten später öffnete das Mädchen die Augen und blickte benommen zu Oma Wetterwachs auf.
»Genug geschlafen«, sagte Oma und gab sich Mühe, fröhlich zu klingen. Es fiel ihr nicht leicht. »Du verpaßt den besten Teil des Jahrzehnts.«
Das Mädchen sah zu Nanny und Magrat, bevor es seine Aufmerksamkeit erneut auf Oma Wetterwachs richtete.
»Du?« brach es aus ihr heraus.
Oma wölbte erstaunt die Brauen.
»Ich?«
»Du bist … noch immer hier?«
»Noch immer?« wiederholte Oma. »Ich bin zum erstenmal in diesem Schloß.«
»Aber …« Das Mädchen schien vollkommen verwirrt zu sein.
»Morgens geht’s mir ähnlich, Schätzchen.« Nanny Ogg griff nach der anderen Hand der Erwachten und tätschelte sie. »Brauche immer erst eine Tasse Tee, bevor ich’s mit der Realität aufnehmen kann. Nun, ich schätze, die anderen wachen jetzt ebenfalls auf. Sicher dauert’s eine Weile, bis alle Mäusenester aus den Kesseln entfernt sind und hier wieder Ordnung herrscht … Esme?«
Oma Wetterwachs starrte auf ein staubbedecktes Etwas an der Wand.
»Sich einmischen und kontrollieren …«, hauchte sie.
»Was ist los, Esme?«
Oma marschierte durchs Zimmer und wischte den Staub von einem großen, verzierten Spiegel.
»Ha!« Sie wirbelte herum. »Wir gehen jetzt«, verkündete sie.
»Ich dachte, wir ruhen uns hier ein wenig aus«, sagte Magrat. »Wir sind lange unterwegs gewesen.«
»Wir sollten die hiesige Gastfreundschaft nicht überbeanspruchen«, erwiderte Oma und verließ das Gemach.
»Aber wir haben sie doch noch gar nicht richtig in Anspruch genommen«, wandte Magrat ein. Sie blickte zum großen, ovalen Spiegel, der in einem vergoldeten Rahmen ruhte. Es paßte ganz und gar nicht zu Oma Wetterwachs, daß sie sich von ihrem eigenen Spiegelbild beunruhigen ließ.
»Sie hat wieder eine ihrer Launen«, meinte Nanny Ogg. »Komm. Wir sollten ihr besser folgen.« Sie gab der verwunderten Prinzessin einen Klaps auf den Kopf. »Bis dann, Teuerste. Zwei Wochen mit Besen und Axt – anschließend sieht’s hier wieder so aus wie früher.«
»Sie scheint Oma erkannt zu haben«, sagte Magrat, als sie über die breite Treppe hasteten und versuchten, zu Esme Wetterwachs aufzuschließen.
»Nun, wir wissen, daß sie Oma vorhin zum erstenmal gesehen hat«, erwiderte Nanny Ogg. »Esme war nie zuvor in diesem Schloß.«
»Ich verstehe nicht, warum sie es plötzlich so eilig hat«, klagte Magrat. »Sicher sind die hiesigen Leute dankbar dafür, daß wir den Zauber beendet haben.«
Der lange Schlaf ging nun zu Ende. Die Hexen liefen an Wächtern vorbei, die verdutzt die Spinnweben an ihren Uniformen und die überall wachsenden Büsche betrachteten. Als sie den Dschungel im Hof durchquerten, taumelte ein älterer Mann im Morgenmantel aus einer Tür, lehnte sich an die Wand und versuchte mühsam, ins Hier und Heute zurückzufinden. Nach einigen Sekunden bemerkte er die beschleunigende Oma Wetterwachs.
»Du?« rief er. »Wachen!«
Nanny Ogg zögerte nicht. Ihre Hand schloß sich um Magrats Ellenbogen, und dann sprintete sie los und holte Oma Wetterwachs am Tor ein. Ein Wächter, der morgens weniger an Benommenheit litt als seine Kollegen, unternahm den halbherzigen Versuch, ihnen mit seiner Pike den Weg zu versperren. Oma packte die Stange und hebelte den Mann einfach beiseite.
Die Hexen stürmten durchs Tor nach draußen und hielten auf einen Baum zu, an dessen Stamm drei Besen lehnten. Oma griff ihren, ohne die Geschwindigkeit zu verringern, und diesmal sprang er sofort an.
Ein Pfeil sauste an ihr
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