Total verhext
vorbei und bohrte sich in einen Ast.
»Unter Dankbarkeit stelle ich mir etwas anderes vor«, sagte Magrat, als sie aufstiegen und über die Bäume hinwegflogen.
»Die meisten Leute im Schloß schienen Morgenmuffel zu sein«, meinte Nanny.
»Und sie glaubten, dich zu kennen, Oma«, fügte Magrat hinzu.
Omas Besen erbebte im Wind.
»Sie irren sich!« rief die alte Hexe auf dem Stiel. »Sie haben mich nie zuvor gesehen, klar?«
Eine Zeitlang flogen sie stumm dahin. Sie schwiegen besorgt.
Magrat hatte Nannys Ansicht nach ein besonderes Talent. Sie verstand es gut, mit ihren Bemerkungen in den sprichwörtlichen Fettnapf zu treten. Diese Fähigkeit stellte sie nun unter Beweis, als sie sagte: »Ich frage mich, ob wir richtig gehandelt haben. Normalerweise sind Prinzen für so etwas zuständig.«
»Ha!« entfuhr es Oma, die etwas weiter vorn flog. »Und was nützt das? Wenn jemand durch irgendwelche Dornbüsche kriecht … Beweist er damit, ein guter Ehemann zu sein? So denken nur Feen! Halten es für ihre Pflicht, für ein gutes Ende zu sorgen, ob’s den Leuten gefällt oder nicht!«
»Gegen ein gutes Ende gibt es nichts einzuwenden«, erwiderte Magrat hitzig.
»Ein gutes Ende ist in Ordnung, wenn es sich von allein ergibt.« Oma starrte finster gen Himmel. »Man kann so etwas nicht für andere Personen vorbereiten. Will man zum Beispiel eine glückliche Ehe gewährleisten, so müßte man Braut und Bräutigam unmittelbar nach der Trauung köpfen.«
Oma Wetterwachs sah zur fernen Stadt.
»Man kann nur für ein Ende sorgen«, sagte sie.
Sie frühstückten auf einer Lichtung im Wald und aßen gegrillten Kürbis. Sie holten das Zwergenbrot hervor und betrachteten es, und einmal mehr entfaltete es eine erstaunliche Wirkung. Man schien einfach nicht hungrig genug sein zu können, um Zwergenbrot zu essen. Es genügte, einige Sekunden darauf zu blicken – sofort fielen einem mindestens ein Dutzend anderer Dinge ein, die man viel lieber gegessen hätte. In Regenwasser eingeweichte Stiefel, zum Beispiel. Einen Berg. Ein lebendiges Schaf. Den eigenen Fuß.
Anschließend versuchten sie, ein wenig zu schlafen. Zumindest Nanny und Magrat. Doch sie blieben wach und hörten, wie Oma Wetterwachs hingebungsvoll murmelte und brummte. Sie schien sich überhaupt nicht beruhigen zu können.
Nanny schlug einen Spaziergang vor. Sie meinte, ein prächtiger Tag hätte begonnen, und dies sei zweifellos ein interessanter Wald mit vielen nützlichen Kräutern. Darüber hinaus hielt sie strahlenden Sonnenschein für genau die richtige Medizin gegen schlechte Laune.
Der Wald erwies sich tatsächlich als recht interessant. Nach einer halben Stunde mußte selbst Oma Wetterwachs zugeben, daß die Umgebung nicht vollkommen fremdländisch und abscheulich war. Gelegentlich pflückte Magrat am Wegesrand Blumen. Nanny sang einige Strophen des Liedes Des-Zauberers-Stab-hat-einen-Knauf-am-Ende, und Oma Wetterwachs protestierte kaum dagegen.
Trotzdem stimmte etwas nicht. Nanny Ogg und Magrat spürten zwischen sich und Oma eine Art mentale Mauer, hinter der sich etwas Bedeutungsvolles verbarg. Irgend etwas hielt Esme Wetterwachs davon ab, ihren beiden Kolleginnen die volle Wahrheit anzuvertrauen. Normalerweise hatten Hexen kaum Geheimnisse voreinander – unter anderem auch deshalb, weil sie aufgrund der ausgeprägten hexischen Neugier gar nichts geheimhalten konnten. Omas Verhalten war besorgniserregend.
Dann traten sie an einigen großen Eichen vorbei und begegneten einem Mädchen, das ein rotes Käppchen trug.
Es hüpfte über den Weg und sang ein Lied, das wesentlich einfacher und harmloser war als die Melodien und Texte aus Nannys Repertoire. Die Hexen sah das Mädchen erst, als es ihnen fast auf die Füße trat. Es blieb stehen und lächelte unschuldig.
»Hallo, alte Frauen«, grüßte es.
»Ähem«, erwiderte Magrat.
Oma Wetterwachs bückte sich.
»Was machst du so ganz allein im Wald, junge Dame?«
»Ich bringe meiner Oma diesen Korb mit Leckereien«, lautete die Antwort.
Oma Wetterwachs richtete sich auf und blickte in die Ferne.
»Esme …«, begann Magrat. Es klang drängend.
»Ich weiß, ich weiß.«
Magrat ging in die Hocke, und ihr Gesicht verwandelte sich in die idiotische Grimasse eines Erwachsenen, der geradezu verzweifelt versucht, das Wohlwollen eines Kindes zu erringen – je mehr sich solche Personenbemühen, desto mehr kindlichen Argwohn ernten sie. »Äh. Sag mir … Hat dich deine Mutter vor bösen Wölfen
Weitere Kostenlose Bücher