Total verhext
Richtiges Zwergenbrot muß in Flüssen versenkt, wieder hervorgeholt, in den Boden gestampft und dort gelagert werden, damit man’s jeden Tag hervorholen, anschauen und wieder weglegen kann. Nein, unmöglich. So etwas existiert hier einfach nicht.«
»Vielleicht ist heute euer Glückstag«, sagte Oma Wetterwachs.
»Um ganz offen zu sein …« Nanny Ogg machte eine entschuldigende Geste. »Ich glaube, einmal hat der Kater seine Blase darauf entleert.«
In den Augen des Zwergensprechers glühte es.
»Potzblitz!« entfuhr es ihm.
Lieber Jason und alle,
wasse für ein Leben, hier passieren dauerend irgentwelche Dinge, Wölfe reden und Prinzessinnen schlafen in Schlössern und so ach wenn ich nach Hause zurückkehrige habe ich die eine oder andere Geschichte zu erzählen und ob. Übrigens, erwähnet mir gegenüber blos keine Bauernhäuser, da fällt mir ein bitte schick jemanden zu Herrn Vernissage drüben in Schnitte und richte ihm Frau Oggs Kommplimente aus weil er gute Hüte herstellet, er kann jetzt werben mit ›Emmfohlen von Nanny Ogg, schützt vor 100% aller bekannten Bauernhäuser‹. Außerdem, wenn man Leute darauf hinweiset wie gut ihre Sachen sind so bekommt man manchmal Gratis-Sachen von ihnen, vielleicht erhalte ich auf diese Weise einen neuen Hut.
Lilith verließ die Kammer mit den Spiegeln, und Phantombilder folgten ihr.
Hexen sollten eigentlich zerquetscht werden, wenn Bauernhäuser auf sie herabfielen. Das wußte Lilith natürlich. Höchstens die Stiefel durften von ihnen übrigbleiben.
Manchmal regte sich ein Hauch Verzweiflung in ihr. Weil die Leute anscheinend unfähig waren, ihre Rollen richtig zu spielen.
Sie überlegte, ob es das Gegenteil einer guten Fee geben konnte. Für die meisten Dinge existierte ein Gegensatz. Nun, in dem Fall war sie keine böse gute Fee, sondern eine gute Fee, die man aus einem anderen Blickwinkel sah.
Nein, das Gegenteil war jemand, der Geschichten vergiftete und Liliths Ansicht nach das unheilvollste Geschöpf auf der ganzen Welt sein mußte.
Wie dem auch sei: Hier in Gennua entfaltete sich eine Geschichte, die niemand aufhalten konnte. Sie hatte bereits zuviel Eigendynamik. Wer versuchte, Einfluß darauf zu nehmen, wurde einfach in das allgemeine Handlungsmuster aufgenommen und bekam eine Nebenrolle. Lilith brauchte keine Kontrolle mehr auszuüben, denn die Geschichte kontrollierte sich selbst. Sie war sich ihres unvermeidlichen Sieges gewiß. Lilith mußte einfach gewinnen – immerhin repräsentierte sie das Gute.
Sie schritt an den Zinnen vorbei und blickte über jene Treppe, die zu ihren Gemächern führte, wo die beiden Schwestern warteten. Das Warten fiel ihnen nicht schwer. Sie konnten stundenlang sitzen, ohne ein einziges Mal zu blinzeln.
Der Herzog lehnte es ab, das Zimmer mit ihnen zu teilen.
Die Schwestern drehten sich um, als Lilith hereinkam.
Sie hatte ihnen keine Stimmen gegeben. Warum auch? Es genügte, daß sie schön waren und verstanden.
»Geht jetzt zum Haus«, sagte sie. »Das ist sehr wichtig. Hört mir gut zu. Morgen kommen einige Personen, um Ella zu besuchen. Laßt sie zu ihr, in Ordnung?«
Die beiden Gestalten beobachteten, wie sich ihre Lippen bewegten. Sie beobachteten alles, was sich bewegte.
»Wir brauchen sie für die Geschichte«, fuhr Lilith fort. »Sie funktioniert nicht richtig, wenn sie nicht versuchen, sich in das Geschehen einzumischen. Und nachher … Vielleicht gebe ich euch Stimmen. Würde euch das gefallen?«
Die Schwestern wechselten einen Blick und wandten sich dann wieder der Frau zu. Einige Sekunden später sahen sie zum Käfig in der Ecke des Zimmers.
Lilith lächelte, öffnete den Behälter und entnahm ihm zwei weiße Mäuse.
»Die jüngere Hexe ist vermutlich ganz nach eurem Geschmack«, sagte sie. »Mal sehen, was ich mit ihr anstellen kann. Und nun öffnet den … Mund …«
Drei Besen glitten durch den Nachmittag.
Diesmal stritten sich die Hexen nicht.
Die Zwerge hatten sie an daheim erinnert. In jedem Herzen mußte Heimweh keimen, wenn man beobachtete, wie mehrere Zwerge fast andächtig dasaßen, das Zwergenbrot anstarrten und es allein mit ihren Augen zu verspeisen schienen – die geeignetste Methode, Zwergenbrot zu genießen. Was auch immer sie dazu veranlaßt haben mochte, rubinrote Stiefel zu suchen – dieses Verlangen wich nun einem ganz anderen mit wesentlich tiefer reichenden Wurzeln. Wie Oma Wetterwachs zu sagen pflegte: Man mußte einen sehr weiten Weg zurücklegen, um
Weitere Kostenlose Bücher