Total verhext
murmelte Nanny Ogg. »Da drüben. Zwischen den Bäumen.«
»Vermutlich eine Ente.«
»Nein, das Etwas war größer. Komisch. Sah aus wie ein kleines Haus.«
»Oh, natürlich, hier laufen kleine Häuser durch die Gegend, und vermutlich kräuselt Rauch aus dem Schornstein, nicht wahr?« spottete Oma Wetterwachs.
Nanny strahlte. »Hast du’s ebenfalls gesehen?«
Oma rollte mit den Augen.
»Kommt«, sagte sie. »Begeben wir uns zur Straße.«
»Äh«, wandte Magrat ein. »Wie denn?«
Sie blickten zum scheinbaren Boden zwischen ihrem vergleichsweise trockenen Zufluchtsort und der Straße. Das »Gelände« sah gelblich aus.Hier und dort lagen – beziehungsweise schwammen – Äste, und an anderen Stellen wuchsen verdächtige grüne Grasbüsche. Nanny griff nach einem Zweig und warf ihn einige Meter weit. Es klatschte, und dann versank das Holzstück mit einem Geräusch, als versuchte jemand, die letzten Tropfen aus einem Milchshake-Becher zu saugen.
»Wir fliegen darüber hinweg«, schlug Nanny vor.
»Ihr beiden seid dazu imstande«, klagte Oma. »Aber ich kann hier nicht genug Anlauf nehmen, um meinen Besen zu starten.«
Magrat beförderte sie zur anderen Seite, und Nanny bildete den Abschluß mit Omas widerspenstigem Besen.
»Hoffentlich hat uns niemand gesehen«, brummte Oma Wetterwachs, als sie die relative Sicherheit der Straße erreicht hatten.
Sie wanderten in Richtung Stadt, und andere Pfade vereinten sich mit dem Sumpfweg. Viele Leute schienen Gennua erreichen zu wollen. Vor dem Tor hatte sich eine lange Schlange gebildet.
Vom Boden aus gesehen wirkte die Metropole noch eindrucksvoller. Wie ein auf Hochglanz polierter Edelstein schimmerte sie im Dunst der Sümpfe. Bunte Fahnen wehten auf hohen Mauern.
»Sieht fröhlich aus«, meinte Nanny.
»Und sehr sauber«, fügte Magrat hinzu.
»Aber nur von oben«, sagte Oma, die nicht zum erstenmal mit einem urbanen Komplex zu tun hatte. »Drinnen gibt’s Bettler und Lärm und Rinnsteine voller Dinge, jawohl.«
»Seht nur, man läßt nicht alle Personen das Tor passieren«, stellte Magrat fest.
»Auf dem Schiff hieß es, viele Leute seien hierher unterwegs«, entsann sich Oma. »Wegen des Dicken Mittags. Unter den vielen sind wahrscheinlich auch einige, die nicht den hiesigen Ansprüchen genügen.«
Sechs Wächter sahen ihnen entgegen.
»Die Burschen sehen ordentlich aus«, lobte Oma Wetterwachs. »Überhaupt nicht wie zu Hause.«
In ganz Lancre gab es nur sechs Uniformen, die nach dem Grundsatz Paßt-nicht-ganz-allen angefertigt worden waren. Oftmals mußten sie mit Nadel und Garn weiter gemacht werden, vor allem im Bereich der Taille – für gewöhnlich wurden in Lancre jene Leute zu Palastwächtern, die im Augenblick nichts Besseres zu tun hatten.
Diese Wächter hier waren ausnahmslos mindestens einsneunzig groß, trugen makellose, rotblaue Uniformen und boten ein imposantes Erscheinungsbild – das mußte selbst Oma Wetterwachs zugeben. Die einzigen anderen echten Wächter hatte sie in Ankh-Morpork gesehen. Wer ihnen begegnete, fragte sich unwillkürlich, ob Angreifer schlimmer sein konnten. Ein angenehmer Anblick waren sie gewiß nicht.
Oma näherte sich dem Tor – und wurde dort mit der überraschenden Tatsache konfrontiert, daß ihr zwei Piken den Weg versperrten. »Wir wollen niemanden angreifen«, sagte sie. Ein Korporal salutierte. »Das glauben wir dir gern, gnä’ Frau«, erwiderte er. »Aber wir sind angewiesen, keine Grenzfälle passieren zu lassen.« »Grenzfälle?« wiederholte Nanny. »Wie meinst du das?« Der Korporal schluckte. Oma Wetterwachs’ durchdringender Blick blieb nicht ohne Wirkung auf ihn. »Nun«, sagte er unsicher, »du bist, äh … schmutzig.« Laute, fast ohrenbetäubende Stille folgte. Oma atmete tief durch.
»Wir hatten einen kleinen Unfall im Sumpf«, warf Magrat rasch ein.
»Bestimmt hat alles seine Richtigkeit«, sagte der Korporal mit wachsender Verzweiflung. »Gleich kommt der Hauptmann. Weißt du, wir bekommen Schwierigkeiten, wenn wir die falschen Personen passieren lassen. Du würdest staunen, wenn du manche Leute sähest, die hier durchs Tor wollen.«
»Die falschen Leute dürft ihr natürlich nicht passieren lassen«, erwiderte Nanny. »Oh, es liegt uns fern, von euch zu verlangen, daß ihr die falschen Leute passieren laßt. Es ist sicher nicht unser Wunsch, eine Stadt zu betreten, in der es die falschen Leute gibt. Habe ich recht, Esme?«
Magrat trat ihr auf den Fuß.
»Zum Glück sind wir
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