Total verhext
vor.«
»Nun, Magrat ist vernünftig – mehr oder weniger«, überlegte Nanny laut. »Vielleicht merkt sie, daß es hier nicht mit rechten Dingen zugeht.«
»Wenn ich jemanden beeinflusse, so gehe ich dabei sehr gründlich vor, Gytha Ogg«, verkündete Oma. »Magrat merkt überhaupt nichts – bis die Uhr Mitternacht schlägt.«
Sie drehten sich beide um und blickten zu der großen Uhr – es war noch nicht einmal neun.
»Weißt du, Uhren schlagen gar nicht Mitternacht«, sagte Nanny. »Sie lassen nur zwölfmal eine Glocke ertönen, das ist alles.«
Erneut sahen die Hexen zur Uhr.
Im Sumpf krähte Legba, der schwarze Hahn. Er krähte immer, wenn die Sonne unterging.
Nanny Ogg nahm einen weiteren Treppenabsatz, verharrte und keuchte hingebungsvoll.
Es mußte hier irgendwo sein.
»Du hättest besser geschwiegen, Gytha Ogg«, tadelte sie sich selbst.
»Ich nehme an, wir haben den Trubel des Balls für ein nettes Tête-àtête verlassen«, sagte Casanunda hoffnungsvoll und folgte der Hexe.
Nanny versuchte, ihn einfach zu ignorieren, während sie den Weg durch einen staubigen Korridor fortsetzte. An der einen Seite zog sich ein Geländer entlang, von dort konnte man in den Ballsaal hinabsehen. Auf der anderen …
… befand sich eine kleine Holztür.
Gytha Ogg stieß sie mit dem Ellenbogen auf. Dahinter surrte und klickte ein Mechanismus im Kontrapunkt zu den Tänzern. Die Uhr schien sie anzutreiben – was in gewisser Weise tatsächlich der Fall war.
Uhrwerke, dachte Nanny. Wer sich damit auskannte, wußte über alles Bescheid.
Leider kenne ich mich nicht mit Uhrwerken aus, fuhr es der Hexe durch den Sinn.
»Hübsch gemütlich hier«, meinte Casanunda.
Nanny schob sich durch die Tür, und der unablässig arbeitende Mechanismus nahm sie auf. Zahnräder drehten sich dicht vor ihrer Nase.
Sie besah sich das mechanische Durcheinander.
Meine Güte! Und das alles dient allein dazu, die Zeit in kleine Stücke zu schneiden.
»Hier gibt es nicht sehr viel Platz«, stellte Casanunda fest. Seine Stimme erklang unter Nannys rechter Achsel. »Aber es könnte schlimmer sein. Ich erinnere mich da an eine Episode in Quirm. Es passierte in einer Sänfte und …«
Mal sehen, dachte Nanny. Dieses Ding ist mit dem Ding verbunden. Dieses Etwas dreht sich, und das andere Etwas dreht sich noch etwas schneller. Dort ist ein Zackengebilde, das dauernd wackelt …
Nun, was soll’s? Zerre einfach am ersten Ding, das du in die Hand bekommst, wie der Hohepriester zur Vestalin sagte. 24
Nanny Ogg spuckte in die Hände, griff nach dem größten Zahnrad und zerrte.
Das Ding blieb in Bewegung und zog die Hexe langsam mit sich.
Sie fluchte leise. Und verfiel dann auf eine Taktik, die Oma Wetterwachs und Magrat vermutlich strikt abgelehnt hätten. Aber Nannys Reisen übers Meer intersexueller Tändelei hatten viel weiter als nur zweimal um den Leuchtturm geführt. Sie fand nichts dabei, einen Mann um Hilfe zu bitten. Sie schenkte Casanunda ein zuckersüßes Lächeln.
»Bestimmt wäre es in unserem kleinen Pie-de-terre weitaus bequemer, wenn sich dieses Rad hier ein bißchen zur Seite schieben ließe«, sagte sie. »Du bist sicher stark genug, nicht wahr?«
»Oh, zweifellos, Verehrteste«, erwiderte Casanunda. Er streckte eine Hand aus. Zwerge sind trotz ihrer geringen Größe enorm kräftig, und das Zahnrad schien ihm keinen Widerstand zu leisten.
Irgendwo im Mechanismus knirschte etwas, und es folgte ein klagendes Klonk. Große Räder drehten sich widerstrebend. Kleine Räder quietschten an ihren Achsen. Ein ebenso winziges wie wichtiges Teilchen flog aus dem Uhrwerk und prallte an Casanundas Kopf ab.
Die Zeiger bewegten sich wesentlich schneller über das Zifferblatt, als es die Zeit vorsah.
Nanny Ogg vernahm ein anderes Geräusch und sah nach oben.
Die Selbstzufriedenheit wich aus ihren Zügen, als sie beobachtete, wie der Hammer langsam ausholte. Nanny begriff plötzlich, daß sie direkt unter der Glocke stand …
Bong …
»Oh, Mist!«
Bong …
Bong …
Bong …
Dunstschwaden wogten über den Sumpf, von Schatten begleitet. Ihre Konturen blieben undeutlich in einer Nacht, in der allein die Zeit den Unterschied zwischen den Lebenden und den Toten ausmachte.
Frau Gogol spürte die Schemen zwischen den Bäumen. Die Heimatlosen und Hungrigen. Die Stummen. Die von Menschen und Göttern Verlassenen. Die Wesen des Nebels und des Schlamms, deren einzige Stärkejenseits der Schwäche lag, deren Überzeugungen
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