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Tote Dichter lügen nicht: Roman (German Edition)

Tote Dichter lügen nicht: Roman (German Edition)

Titel: Tote Dichter lügen nicht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Flipo
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den Finger in den Spalt des Klebeverschlusses zu schieben.
    » Nur zu, Monot, tun Sie sich keinen Zwang an, Nitrilhandschuhe, Fingerabdrücke, da stehen Sie drüber! Und machen Sie ihn doch bitte gleich auf, wo Sie schon dabei sind! Wissen Sie, was eine Verletzung des Briefgeheimnisses kostet? Vor allem in diesem Umfeld? Morgen bringe ich den Umschlag selbst in die Académie. Den Inhalt nehme ich dann für die Ermittlungen an mich. Schreiben Sie mir schon mal die Adresse von der Rückseite ab.«
    Viviane reichte ihm ein grünes Post-it, dann schickte sie ihn hinaus. Sie wollte noch einmal Gérald Tournu treffen, das war der einzige Ansatzpunkt, den sie bisher hatte. Sie rief bei Hélio92 an und fragte nach dem Lieferanten. Man sagte ihr, er sei zum Surfen nach Biarritz gefahren und komme erst Donnerstag wieder.
    Surfen im Januar, bei diesem Wetter, der musste übergeschnappt sein! Die Empfangsdame war ganz ihrer Meinung. Gérald wollte den Off the Lip und den Three Sixty, Frontside und Backside machen, im Neoprenanzug am Strand, obwohl sie ihm dasselbe vorgeschlagen hatte, nur unter der Bettdecke, er musste verrückt sein. Sie gab Viviane die Nummer des Helden, nicht ohne sie vorzuwarnen: Er würde bis Mittwochabend nur über seinen Anrufbeantworter zu erreichen sein, er hatte sein Handy im Partner vergessen.
    Viviane rief Gérald Tournu trotzdem an und hinterließ die Nachricht, dass er sich melden solle. Sie vertiefte sich wieder in ihre Akten, aber las, ohne zu lesen. Die Sache vom Quai Conti wurde immer merkwürdiger als erwartet, sie fühlte sich schon jetzt überfordert.
    Zurück zu Hause gönnte sie sich einige von Johann Sebastians Suiten für Violoncello und etwas Gegrilltes mit Zucchini. Sie schlief schlecht. Vielleicht lag es an ihrer säurehaltigen Diät. Oder, was wahrscheinlicher war, an diesem Fall.
    Mittwoch, 23 . Januar
    Der Schnee war geschmolzen, die Kälte geblieben. Trotzdem holte Viviane ihr Kostüm von Caroll heraus, um zur Académie zu gehen. Es war lächerlich, und es war rosa, aber sie hatte es sich letzten Sommer gegönnt und nie getragen, was noch viel lächerlicher war. Als sie es kaufte, hatte sie sich zarte Candle-Light-Dinner vorgestellt. Und noch nicht einmal unbedingt bei Kerzenschein, aber eben solche, wo jemand beim Dessert nach ihrer Hand griff. Schlechte Investition, es hatte nie solche verliebten Dinner gegeben. Kein Herzklopfen mehr seit Ludovic, diesem Dreckskerl von Ludovic.
    Sie versuchte, die Hose anzuziehen. Fast wäre sie auch drin gewesen, musste dann aber aufgeben: An den Hüften zwickte es, natürlich. Eine Welle des Hasses gegen Frauen, die an den Oberschenkeln zunahmen, überkam die Kommissarin, die hatten Glück, das sah man weniger; dann Hass gegen Frauen, die sich den Bauch vollschlagen konnten, ohne zuzunehmen– die Welt war ungerecht. Sie holte ein gutes altes unförmiges Alltagsensemble hervor und zog dazu ihre kleinen grauen Schuhe an, die ihr passend schienen, um die Mitglieder der Académie zu treffen.
    Weil sie den Umschlag im Kommissariat vergessen hatte, fuhr sie schnell dort vorbei, Zeit genug, um sich über die Kommentare ihrer Männer zu den grauen Schuhen zu ärgern, bevor sie zum Quai Conti weiterfuhr. Wie bemerkten die das bloß?
    Die Académie Française! Viviane hatte stets eine nebulöse Vorstellung davon gehabt: nicht mehr ganz junge Männer und Frauen, die es für angebracht hielten, sich wie zum Karneval zu verkleiden, um einander ehrwürdig zu empfangen. Glorreiche Namen, die sich versammelten, um über die Bedeutung unbekannter Wörter zu diskutieren, die schon niemand mehr benutzen würde, wenn die nächste Ausgabe ihres Wörterbuchs erschien.
    Sie klingelte und wartete, etwas eingeschüchtert. Ihr war noch nicht klar, wie sie die Lage erklären sollte. Ein kleiner Mann, versteckt unter einer Baskenmütze, öffnete ihr. Eine Karikatur von Concierge, der Typ Mann mit dem man ganz alltägliches Französisch sprechen musste.
    » Ich bin Kommissarin…«
    Sie hielt inne, irritiert. Nein, dieses Kommissarin würde ihr vielleicht als zu feministisch ausgelegt werden; ein Fehler an diesem Ort des Sprachpurismus.
    » Ich bin Frau Kommissar…«
    Der Concierge sah sie beunruhigt an, er mochte wohl keine Transen.
    » Ich soll Ihnen das hier bringen.«
    Sie zeigte ihm den Umschlag, den der kleine Mann nachdenklich las: » Zu Händen von Victor Hugo …Ich weiß nicht, ob Sie nun Kommissarinoder Frau Kommissar sind, aber Victor Hugo sind Sie

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