Tote Dichter lügen nicht: Roman (German Edition)
Vielleicht hat er das nur so erzählt, Pitän, meinen Sie nicht?«
» Sehr reich, ich sag es Ihnen. Sehen Sie, zum Beispiel neulich am Freitagmorgen, da hab ich ihn im Viertel von Les Halles getroffen. Er war schon völlig blau, wollte mich ins Bistro einladen. ›Ich hab was zu feiern, ein großes Ding, ein Haufen Kohle mit dem hier drin‹ und zeigte auf seine Tasche. Sollte man nie erzählen so was, wird man leicht ausgeraubt. Dann meinte er noch: ›Heute werde ich in die Académie Française aufgenommen.‹ Ich wollte noch bei ihm bleiben, um zu sehen, ob’s stimmt. Aber er wollte lieber alleine gehen. Hat mir einen Rosé spendiert und sich aus dem Staub gemacht.«
» Und das ganze Geld, wissen Sie, wo das herkam?«
» Vielleicht aus den Rechten von den Gedichtbüchern, die er geschrieben hat, als er Professor war. Hat man Ihnen das gesagt, dass er Professor an der Sorbonne war?«
Kapitel 4
Die Kommissarin spendierte dem Obdachlosen einen letzten Rosé und ging mit Escoubet hinaus. Der Frost war noch genauso beißend und Vivianes Füße seit der Warterei am Quai Conti noch immer nicht aufgetaut. Sie schlug dem Brigadier vor, in der Nähe mit ihr zu Mittag zu essen und danach gemeinsam mit ihm in die Avenue Victor-Hugo zu fahren. Er war sehr angetan, alle ihre Männer gingen gerne mit ihr essen, sie hatten ihr einmal gesagt warum: Sie aß mit gutem Appetit und redete, wie ihr der Schnabel gewachsen war. Ein Männerkompliment.
» Wenn Sie Paella mögen, Commissaire, am Ende der Straße ist ein kleines Restaurant, das heute welche auf der Karte hat.«
Der eisige Wind war unerträglich, Viviane war bereit, alles Mögliche zu mögen, Hauptsache, sie musste dafür nicht weiter gehen als bis zum Ende der Straße.
» Escoubet, glauben Sie an diese Geschichte mit dem sehr reichen Penner, der eine Wohnung in der Avenue Victor Hugo hat?«
» Nicht mehr als an seine Aufnahme in die Académie Française. Das ist Quatsch! Oft werden Penner genau darum Penner: nur um sich ein Leben auszudenken und davon zu erzählen, ohne dass man sie unterbricht. Pitän zum Beispiel, ich bin mir sicher, dass der nicht Kapitän war. Kaporal vielleicht, aber mehr nicht. Und Mesneux, wetten, der war nie Professor an der Sorbonne?«
» Sie haben gewonnen. Aber trotzdem war in der Tasche ein Umschlag von einem gewissen Wert, vielleicht ein ›Haufen Kohle‹. Jedenfalls hat ihn das umgebracht, den Armen. Und wegen der Avenue Victor Hugo: Da drehen wir heute Nachmittag eine Runde, um die Sache zu überprüfen.«
Das Restaurant war fast voll. Man setzte Viviane und Escoubet an den letzten freien Tisch, genau neben der Tür. Wenige Minuten später traten neue Gäste ein und warteten, genau vor dem Tisch der Polizisten. Viviane ärgerte sich darüber, sie hätte sich mehr Diskretion gewünscht, sie wollte nämlich wissen, was der Brigadier von dem neuen Lieutenant hielt.
Verlegen hob er die Arme: » Klar, er kann Rambert nicht ersetzen, aber er ist kein schlechter Kerl. Sympathisch, motiviert. Ein guter Anfänger, ein Schlauer, der ein bisschen zu sehr auf schlau macht, wenn Sie verstehen, was ich meine. Er ist noch grün hinter den Ohren, aber das vergeht mit der Zeit, wenn er erst mal eine Frau und Kinder hat.«
» Und jetzt, im Moment, hat er eine Lebensgefährtin?«
» Ob er mit ihr lebt, weiß ich nicht, aber eine Freundin hat er. Wie ich verstanden habe, ist sie Reporterin bei 20 minutes.«
» Reporterin! Also der ist wirklich noch grün hinter den Ohren. Der Idiot! Pff…«
Sie hatte zu schnell mit dem Thema abgeschlossen, nun würde es schwierig sein, noch einmal einzusteigen, denn Escoubet ritt schon auf seinem Lieblingsthema herum, den Pferdewetten vom Sonntag. Dieses Mal hatte er auf das Hochzeitsdatum seiner Eltern gesetzt, allerdings stimmte der Monat nicht. Bis auf ein Pferd hatte er alle richtig gesetzt. » Ist doch wirklich ärgerlich, oder?« Viviane gab ihm recht, und Escoubet blähte stolz die Brust über so viel Pech.
Man brachte die große Paella-Platte für zwei Personen, die Karaffe mit Cahors, und die Kommissarin entspannte sich: Jetzt konnten sie beieinandersitzen, ohne zu reden. Die gute dicke Anwesenheit von Escoubet genügte zu ihrem Glück.
Vivianes Handy klingelte. Sie hob ab, hörte zu und sah dabei den Brigadier an, während sie eine Adresse auf die Papierserviette kritzelte. Escoubet hatte sich schon treuselig erhoben. Er hatte begriffen, dass es keine Paella für ihn geben würde. » Ich schicke ihn
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