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Tote erinnern sich (H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens) (German Edition)

Tote erinnern sich (H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens) (German Edition)

Titel: Tote erinnern sich (H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert E. Howard
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das Recht zu haben, seinen Feind auf jede nur mögliche Weise zu attackieren. Brill ertappte Reynolds eines Nachts in einem Saloon in Cow Wells ohne seine Pistole, und Reynolds Skalp rettete nur die schmachvolle Flucht durch die Hintertür mit Kugeln, die hinter seinen Absätzen knallten.
    Dann hätte Reynolds, im Chaparral liegend, seinen Feind beinahe auf fünfhundert Meter Distanz mit einer 30-30-Kugel aus dem Sattel putzen können, womit die Fehde zu Ende gewesen wäre, wenn da nicht zur Unzeit ein Linerider aufgetaucht wäre. Angesichts dieses Zeugen hatte Reynolds seine ursprüngliche Absicht aufgegeben, seine Deckung zu verlassen und dem Verwundeten mit dem Gewehrkolben den Schädel einzuschlagen.
    Brill erholte sich von seiner Wunde, weil er über die Konstitution eines Longhornbullen verfügte, etwas, was er mit seiner ganzen, von der Sonne zu Leder verwitterten Verwandtschaft gemein hatte, ebenso wie deren eiserne Muskeln. Und seit er wieder auf den Beinen war, lauerte sein Revolver auf den Mann, der ihn in den Hinterhalt gelockt hatte.
    Nach diesen Vorkommnissen und Scharmützeln lagen sich jetzt die Feinde auf Gewehrschussweite zwischen den einsamen Bergen gegenüber, wo die Wahrscheinlichkeit einer Störung gering war.
    Seit mehr als einer Stunde hatten sie zwischen den Felsen gelegen und bei jeder Andeutung einer Bewegung des anderen geschossen. Keiner hatte bis jetzt einen Treffer erzielt, obwohl die Kugeln verdächtig nahe an ihrem Ziel vorbeigepfiffen waren.
    Hinter Reynolds’ Schläfen hämmerte unerträglich ein winziger Puls. Die Sonne brannte auf ihn herab, und sein Hemd war vom Schweiß durchtränkt. Mücken schwärmten um seinen Kopf, gerieten ihm in die Augen, und er fluchte giftig. Das nasse Haar klebte ihm an der Kopfhaut, seine Augen brannten vom grellen Licht der Sonne, und der Lauf seiner Flinte brannte heiß in seiner schwieligen Hand. Das rechte Bein drohte ihm einzuschlafen, und er bewegte es vorsichtig, wetterte über das Klirren der Sporen, obwohl er wusste, dass Brill das nicht hören konnte. All diese Beschwerden ließen das Feuer seines Zorns nur noch heißer brennen. Ohne darüber bewusst nachzudenken, schrieb er all diese Leiden seinem Feind zu. Die Sonne brannte mit betäubender Wut auf seinen Sombrero herunter, und sein Denken war leicht verwirrt. Zwischen diesen kahlen Felsen war es heißer als in den Tiefen der Hölle. Seine trockene Zunge liebkoste seine ausgedörrten Lippen.
    Doch sein Hass für Esau Brill brannte so heiß, dass sein wirres Gehirn darauf keinen Einfluss hatte. Dieser Hass war zu mehr geworden als einer bloßen Empfindung: Er war ein Zwang, wie ein monströser Inkubus. Als er unter dem Peitschenschlag von Brills Schuss zusammenzuckte, geschah das nicht aus Angst vor dem Tode, sondern weil der Gedanke, von der Hand seines Feindes zu sterben, ein unerträglicher Schrecken war, der sein Gehirn in rot glühender Wut taumeln ließ. Er hätte sein Leben, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, weggeworfen, wenn er dadurch Brill nur drei Lidschläge vor ihm selbst in die Ewigkeit hätte schicken können.
    Über diese Gefühle dachte er nicht nach. Männer, die von der Arbeit ihrer Hände leben, haben wenig Zeit, ihre Gedanken und Empfindungen zu analysieren. Die Beschaffenheit des Hasses, den er für Esau Brill empfand, war ihm ebenso wenig bewusst wie ihm seine Hände und Füße bewusst waren. Dieser Hass war ein Teil seiner selbst, und mehr als nur ein Teil: Er hüllte ihn ein, umfasste sein ganzes Wesen – sein Geist und sein Körper waren nicht mehr als die körperliche Manifestation jenes Hasses. Er war der Hass, und dieser Hass war sein Geist und seine Seele. Unbehindert von den entnervenden Fesseln des Intellekts und der Zivilisation nährten sich seine Instinkte aus nacktem und primitivem Empfinden. Und aus ihnen kristallisierte sich eine beinahe greifbare Abstraktion – eine Feindseligkeit, die zu stark war, als dass selbst der Tod sie zerstören konnte; ein Hass, der genügend Macht hatte, um sich in sich selbst zu verkörpern, ohne dass er dazu materieller Substanz bedurfte.
    Seit vielleicht einer Viertelstunde hatte keines der beiden Gewehre gesprochen. So wie Klapperschlangen eingerollt zwischen den Felsen liegen und ihr Gift aus den Sonnenstrahlen aufsaugen, so lagen die beiden Feinde da, und jeder wartete auf seine Chance, spielte das Spiel der Geduld, bis die angespannten Nerven des anderen zerrissen.
    Esau Brill war es, der zuerst zerbrach.

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