Tote essen keinen Döner
unerwartet an der Tür. Nun lebe ich schon seit einer halben Ewigkeit in Deutschland, aber so etwas habe ich noch nie erlebt. Hierzulande haben sich doch Besucher mindestens zwei Wochen vorher schriftlich anzukündigen, sonst werden sie nicht reingelassen. Bei engen Freunden und Verwandten sind in Ausnahmefällen auch kurzfristigere Anmeldungen gestattet. Unsere gute alte Nachbarin Oma Fischkopf hat mir mal vor Jahren erzählt, wer alles an ungebetenen Gästen in Deutschland vor der Tür stehen kann: Mörder, Vergewaltiger, Triebtäter, Betrüger, Räuber, Diebe, Gerichtsvollzieher oder Zeugen Jehovas. Mein kommunistischer Sohn Mehmet meint, nur in den dekadenten, reichen und verdorbenen Gesellschaften des Spätkapitalismus würden die Leute so denken. Diese Spießer hätten schreckliche Ängste, dass sie einen gewissen Teil ihres Besitzes oder ihrer Beute wieder abgeben müssten oder dass Bedürftige sich eine Scheibe davon abschneiden könnten. Meine Frau sagt immer, ich würde in so einer Situation doch lediglich befürchten, dass ich meinen angestammten Platz auf dem Sofa vor dem Fernseher für Gäste räumen muss.
Ich bin mir aber ganz sicher, dass ich diese innere Unruhe beim Klingeln an der Tür erst habe, seitdem ich eine |48| rassistische Leiche im Keller liegen habe. Ist das überhaupt politisch korrekt, ›rassistische Leiche‹ zu sagen? Aber warum nicht? Nur weil man dem Kerl jetzt drei Kugeln verpasst hat, wird er ja nicht schlagartig zum Bilderbuch-Demokraten. Und wenn doch, hat er nicht mehr viel davon!
Meine kleine Tochter Hatice, die keinerlei Vorurteile kennt – außer dass ich angeblich geizig bin, was ihr Taschengeld betrifft –, macht fröhlich hüpfend die Wohnungstür auf. Zurzeit ist jeder bei uns wie ein Hürdenläufer unterwegs, weil überall Kartons rumstehen. Für Hatice hat sich allerdings nichts verändert, sie hüpft immer so rum.
»Papa, da sind ein paar komische Leute für dich an der Tür«, schreit sie quer durch die Baustelle.
»Wer ist denn da?«, hüpfen meine Wörter über all die Umzugskartons zurück.
»Kenn ich nicht. Eine Oma und ein Opa, beide uralt.«
Für Hatice ist jeder alt und hässlich. Gut, dass sie sich das mit dem hässlich verkniffen hat. Aber ich nehme es ihr nicht wirklich übel. In ihrem Alter dachte ich auch, spätestens mit dreißig stirbt man. Jetzt bin ich selber ein, zwei Tage älter als dreißig und erfreue mich bester Gesundheit. Von meiner Bandscheibe, der Prostata, den Hämorriden und dem Rheuma mal abgesehen.
»Schönen guten Abend, dürfen wir Sie kurz stören?«, fragt die Dame höflich.»Mein Name ist Nachtigall, wir sind die Eltern von dem jungen Mann, der über Ihnen wohnt.«
»Ja, schönen guten Abend auch«, sage ich, »also, ihr Sohn ist in letzter Zeit so leise und rücksichtsvoll, wir hören ihn überhaupt nicht.«
|49| »Genau, das ist ja das Problem«, sagt Herr Nachtigall, »wir machen uns Sorgen, weil wir schon länger nichts von ihm gehört haben.«
»Entschuldigen Sie die Unordnung«, ruft meine Frau, »bitte kommen Sie doch rein ins Wohnzimmer. Wir sind erst vor ein paar Tagen hier eingezogen, es muss noch schrecklich viel renoviert werden. Verzeihen Sie bitte auch das vorlaute Kind, Sie sind doch überhaupt nicht alt.«
»Meine Frau hat wirklich recht, wie sollen Sie auch alt sein, wo ja selbst Ihr Sohn noch nicht mal dreißig war«, pflichte ich ihr bei und werde im gleichen Moment rot bis über beide Ohren.
»Wieso sagen Sie, dass er noch nicht mal dreißig
war
? Was ist mit ihm?«, ruft die Mutter entsetzt.
»Nein, nein, ich wollte damit nur sagen, dass die Kinder heutzutage so früh flügge werden und von zu Hause weggehen, dass man nicht viel von ihnen hat. Nur mein Sohn Mehmet haut immer noch nicht ab.«
»Setzen Sie sich doch bitte. Möchten Sie Tee oder Kaffee haben?«, fragt Eminanim, »Osman, komm doch kurz mit in die Küche und hol schon mal Gläser«, zerrt sie mich hinter sich her.
»Sag mal, Osman, bist du total bescheuert? Du bist eine so unglaubliche Labertasche. Es hat alles überhaupt keinen Sinn mit dir«, schimpft sie in der Küche mit mir.
»Was kann ich dafür, wenn Hatice überhaupt keinen Respekt vor älteren Menschen hat. Das ist doch peinlich«, tue ich unschuldig.
»Versuche hier nicht, wie Olivenöl nach oben zu kommen«, schimpft sie weiter. Ihr ist es im Eifer des Gefechts natürlich egal, wie ich diese Redewendung den deutschen |50| Lesern erklären soll. Das ist ein Sprichwort
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