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Tote essen keinen Döner

Titel: Tote essen keinen Döner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Wahrscheinlich ist er sauer, weil wir die Eltern von seinem Vertreiber mit Tee und Keksen bewirtet haben. Sogar als unsere deutschen Gäste fort sind, hört er mit dem Schimpfen nicht auf:
    »Osman, du bist mittlerweile selber ein typischer Deutscher! Selbst bei diesen Nazi-Eltern versuchst du noch, dich einzuschleimen. Hauptsache, du hast deinen Vorteil davon!«
    Als er weg ist, muss ich die Übersetzungskünste von meiner Frau in Anspruch nehmen, um rauszubekommen, was der wütende Abdullah-Ibrahim mir damit eigentlich sagen wollte. Und so erfahre ich, dass ich die Krönung des typisch Deutschen bin, weil ich ja sogar den Nazis in den Arsch kriechen würde, da ich dank ihres bekloppten Sohnes in diese billige Wohnung gekommen bin, die früher ihm gehört hat.
     
    Im Bett muss ich dann stundenlang darüber nachdenken und kann nicht schlafen.
    |57| Ich habe vorhin schon erzählt, wie völlig fertig und verzweifelt die armen Deutschen sind, wenn man sie des angeblichen »Typischdeutschseins« bezichtigt.
    Aber wenn man mir, einem Türken, »Typischdeutschsein« vorwirft, dann wird das Problem ungemein heikler, vielschichtiger und facettenreicher.
    Ich kann nicht wie ein eingeborener Deutscher mich elegant und stilvoll meiner Trauer hingeben und genüsslich wegen der Ungerechtigkeit der Welt vor mich hin leiden, bis ich meine Melancholie überwunden habe und das Tal der Tränen wieder verlassen kann.
    Bei uns Deutschlingen oder Deutschtürken oder »ausländischen Gastarbeitern mit Migrationshintergrund« fängt in so einem tragischen Fall die aufwendige Analyse-Arbeit paradoxerweise vor der Trauer-Arbeit an. Wir müssen genau nachfragen, wer uns so vehement beschuldigt oder unter Umständen vielleicht sogar unglaublich gelobt hat.
    War der Täter ein Deutscher, ein Türke oder ein anderer Ausländer? Wenn es ein Deutscher war, ist es ein Deutschlanddeutscher, ein Auslanddeutscher oder ein Russlanddeutscher? Wenn es ein Deutschlanddeutscher war, lebt er in Westdeutschland oder in Ostdeutschland? Wenn er in Westdeutschland lebt, ist er Schwabe, Hamburger, Ostfriese oder Bayer? Ist er 48er, 68er oder 88er? Ist er rot, grün, gelb, schwarz, braun oder kariert? Gebildet oder ungebildet? Arbeiter, Akademiker oder Arbeitsloser? Arm oder reich? Und das Wichtigste ist: Ist er ein Mann oder eine Frau?
    Und wenn er Türke ist, ist er ein Türkeitürke oder ein Deutschlandtürke?
    |58| Wenn er ein Türkeitürke ist, war er schon mal als Arbeiter in Deutschland oder nur als Tourist? Oder hat man ihn nicht mal als Tourist nach Deutschland einreisen lassen? Hat er eventuell Verwandte oder Bekannte in Deutschland? Wenn ja, schicken die ihm regelmäßig Geld oder sind sie Geizkragen?
    Wenn er Deutschlandtürke ist, stellt sich die Frage: erste Generation, zweite Generation oder dritte Generation? Politischer Flüchtling, Illegaler oder Angeheirateter? Arbeiter, Arbeitsloser, Gemüse-, Döner- oder Drogenverkäufer? Mit Schnurrbart oder ohne Schnurrbart? Mit Dreitage- oder Vollbart? Mit Schleier, Kopftuch, blonden Strähnchen oder komplett blond gefärbt?
    Zwischen dem Deutschlandbild eines Mannes der »Birinci-Kuşak-Türk« (»Erste-Gürtel-Türken« – so nennt man im Türkischen die erste Generation der Türken in Deutschland) und dem Deutschlandbild eines jungen Burschen der »Dritte-Gürtel-Türken« (und so nennt man die dritte Generation) liegen Welten und nicht nur ein Paar läppische Hosenträger. Während die Erste-Gürtel-Türken die Bezeichnung »typisch Deutsch« wie die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes empfinden und total stolz drauf wären, weil sie einen riesigen Respekt vor den Deutschen in den 60er- und 70er-Jahren entwickelt haben, empfindet die junge Generation das als peinlich und würde lieber im Erdboden versinken. Der Dritte-Gürtel-Türke würde diesen Vorwurf niemals auf sich sitzen lassen, weil er die Deutschen stinklangweilig, total dröge, bis zum Anschlag witzlos, leer und ohne jedes Feuer findet, um nicht zu sagen tot wie Adolf!
    »Osman, nun schlaf doch endlich«, schimpft meine |59| Frau, »denkst du, ich kann auch nur ein Auge zumachen, wenn du hier im Bett wie Hatices Brummkreisel ständig am Rotieren bist?«
    »Oh, Entschuldigung. Ich dache, du schläfst schon.«
    »Wie denn, bei dem Lärm, den du machst? Womöglich hast du sogar den Adolf im Keller aufgeweckt!«
    »Du hast gut reden, Eminanim. Dich hat ja auch niemand als ›typisch deutsch‹ bezeichnet.«
    »Jetzt stell dich nicht so an.

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