Tote essen keinen Döner
Abdullah-Ibrahim die Hand.
»Ich bitte um Verzeihung, falls unser Sohn Ihnen wirklich Unannehmlichkeiten gemacht haben sollte.«
»Was heißt hier Unannehmlichkeiten? Der Mistkerl hat mich und meine Frau in den Wahnsinn getrieben.«
»Wir wissen, dass sich der dumme Junge teilweise sehr schlecht benimmt. Aber dass Sie sogar ausziehen mussten, das kann ich mir gar nicht vorstellen.«
»Wenn Sie wüssten, was ich alles ertragen musste. Dieser Adolf und seine Nazikumpels haben meine Familie hier monatelang schikaniert.«
»Ich kann das einfach nicht fassen!«, stammelt Frau Nachtigall. »Mein Dominique war so ein nettes Kind und hat sich immer so liebevoll um sein Meerschweinchen gekümmert!«
»Abdullah-Ibrahim, schade, dass du kein Meerschweinchen bist«, versuche ich die Stimmung aufzulockern.
»Also, wir entschuldigen uns für die Entgleisungen unseres Sohnes ausdrücklich bei Ihnen und Ihrer Frau«, sagt Herr Nachtigall und macht dabei eine tiefe Verbeugung.
»Bringt Ihre Entschuldigung mir mein Heim zurück? Bringt sie meine Gesundheit zurück? Ich könnte ja auch Ihren Sohn umbringen und anschließend sagen, ich entschuldige mich! Würde das Ihren Sohn wieder zurückbringen?«
Plötzlich herrscht eisige Stimmung im Wohnzimmer. Eminanim lässt fast die Teekanne fallen und unsere Gäste |54| erstarren zu Salzsäulen. Als Gastgeber versuche ich zu retten, was noch zu retten ist:
»Sie müssen wissen, Abdullah-Ibrahim kann nicht mal einer Fliege was zuleide tun. Als er letzte Woche eine davon auf der Walzmaschine gesehen hat, hat er lieber das gesamte Presswerk in Halle 4 abgeschaltet, als die Fliege zu töten.«
»Ich weiß nicht, ob man das vergleichen kann, Osman. Es gibt Leute, die können nicht mal einer Ameise was zuleide tun, aber wenn man sie zum Äußersten treibt, dann sind sie sogar in der Lage, ein Massaker anzurichten«, versucht meine Frau die Gunst der Stunde zu nutzen und den Mord Abdullah-Ibrahim in die Schuhe zu schieben.
»Nun ja, wir wollen Sie nicht länger aufhalten und möchten uns jetzt verabschieden«, sagt Herr Nachtigall. »Frau Engin, sagen Sie bitte Dominique, wenn Sie ihn sehen, dass er sich bei uns melden soll.«
»Adolf redet doch nicht mit Ausländern«, mischt sich mein Kumpan ein. Was er wahrscheinlich nicht ganz so genau weiß, ist, dass Adolf in nächster Zeit mit niemandem mehr reden wird.
Herr Nachtigall holt seine Visitenkarte raus und legt sie auf den Tisch:
»Herr Engin, bitte rufen Sie uns an, wenn Sie von ihm hören. Irgendwann kommt ja wohl jeder Mensch wieder nach Hause.«
Stimmt, aber nur die, die noch ein bisschen leben!
|55| Typisch deutsch
»Typisch deutsch!«
Mit diesen beiden Wörtern gibt Abdullah-Ibrahim beim Abschied unseren beiden deutschen Gästen den Gnadenschuss, sodass sich die Nachtigallen völlig gekrümmt verkrümeln.
Nichts anderes trifft heutzutage die Deutschen härter und schlimmer als der Vorwurf, »typisch deutsch« zu sein.
Selbst die anschließend hinterhergeschleuderte Gehässigkeit von Abdullah-Ibrahim: »Niemals haben die Deutschen selber schuld an den Nazis hier. Immer sind die anderen verantwortlich. Sogar wenn diese Bestien ihre eigenen Blagen sind«, macht die beiden sichtbar weniger fertig.
Wenn dieser Vorwurf »typisch deutsch« von einem Ausländer kommt, dann ist das für Deutsche umso schlimmer und niederschmetternder. Falls es auch noch im Ausland dazu kommt, ist der Urlaub endgültig im Eimer – ähnlich wie bei drei Wochen Regenwetter!
Während des Rückfluges aus der Türkei im vergangenen Sommer hat mir mein Sitznachbar Hans (Name von mir geändert) schluchzend erklärt, dass er soeben seinen Urlaub abgebrochen habe, weil ihn ein Animateur im »Club Antalya« als »typisch deutsch« beschimpft hatte. Als ich ihn nach dem Grund für diese Beschuldigung (er |56| nannte es bösartige Beschimpfung) fragte, kam kein verständliches Wort aus seinem Mund, weil er ständig mit den Tränen zu kämpfen hatte. Mit äußerster Mühe konnte ich nur so viel heraushören: Seine Ehefrau ist nach dem Zwischenfall auf der Stelle abgereist und hat in Hamburg sofort die Scheidung eingereicht. Ihre Anwältin soll gesagt haben, der Vorwurf des »Typischdeutschseins« sei ein wesentlich schwerwiegenderer Scheidungsgrund als beispielsweise Impotenz, Ehebruch oder Schwiegermutter-Erschlagen.
Mein Kollege Abdullah-Ibrahim macht beim Abschied aber nicht nur die Nachtigall etwas krumm von der Seite an, sondern auch mich.
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