Tote essen keinen Döner
Engin, bei Ihnen ist ja die Hölle los«, ruft sie weiter.
»Was meinen Sie denn damit?«, frage ich.
»Na, hören Sie mal, seit Tagen ist das ganze Haus am Wackeln. Man bekommt das Gefühl, dass Sie die ganze Etage demontieren und damit in die Türkei flüchten wollen.«
»Frau Weißbrot, nun sagen Sie endlich, was Sie auf dem Herzen haben. Weshalb sollten wir denn flüchten?«
»Herr Engin, merken Sie nicht, wie das ganze Haus |66| wackelt und alles vibriert? Ich treffe nicht mal das Schlüsselloch vom Briefkasten.«
»Ach, das meinen Sie? Bei uns wird einiges repariert. Wir müssen die Wohnung doch renovieren, bevor wir uns es richtig gemütlich gemacht haben. Hinterher hat keiner mehr Lust dazu.«
Dass die Oma ihren Briefkasten nicht öffnen kann, hat wohl eher was mit ihrer Gicht zu tun.
»Schauen Sie mal, wie schnell ich meinen Briefkasten öffnen kann«, prahle ich, und als ich den Zettel darin sehe, zittere ich, wie es Frau Weißbrot garantiert nicht mal in ihrer Hochzeitsnacht zustande gebracht hat.
»Was haben Sie denn plötzlich, Herr Engin? Sie sind so blass, geht’s ihnen nicht gut?«, fragt sie besorgt.
»Diese rücksichtslosen Bauarbeiter da oben«, stottere ich, »ich glaube, die reißen bald das ganze Haus ab und bauen es irgendwo in Bulgarien oder Rumänien wieder zusammen.«
»Na, hab ich’s doch gesagt«, ruft sie und stapft zufrieden die Treppen hoch.
Ich setze mich vorsichtig auf die Stufen, bevor ich wegen Herzversagen umkippe.
Ich habe das dumpfe Gefühl, dass es der Täter speziell auf mich abgesehen hat. Aber meinen Tod will er ohne jede Spur herbeiführen, ohne äußere Gewalt und Waffen. Hastig massiere ich mein Herz. Auf dem neuen Zettel steht haargenau dasselbe wie auf dem ersten Brief, den Mehmet mühsam zusammengeklebt hat. Ich kann den Text mittlerweile auswendig, bin aber trotzdem daraus kein bisschen schlauer geworden. Schwirrt jetzt etwa der unruhige Geist des Ermordeten durch dieses alte, gruselige Haus, |67| in dem ohnehin schon pulverisierte greise Männer in kleinen Dosen auf der Fensterbank hocken und aus dem Fenster starren? Ich verfluche bereits jetzt den Tag, an dem wir hier eingezogen sind!
Mit einem Ruck reißt mir Mehmet plötzlich den Zettel aus der Hand.
»Schit, warum habe ich mir so viel Mühe gegeben, diese ganzen Schnipsel zusammenzukleben, wenn wir sowieso eine Kopie kriegen?«
»Weil wohl keiner gedacht hat, dass wir einen so fleißigen Toten im Keller haben.«
»Ich habe mir schon immer einen treuen Brieffreund gewünscht!«
»Du hast dir den sicherlich aus dem ›Reich des Bösen‹ gewünscht und nicht aus dem ›Reich der Toten‹.«
»Deshalb lässt Adolf ja auch einen anderen für sich schreiben. Er hat einen Gostwreiter, genauso wie Boris Becker, Dieter Bohlen, Verona Feldbusch und all die anderen ›Autoren‹.«
»Wieso? Sind die auch schon tot? Mehmet, ich weiß, wie wir diesen Gostwreiter von Adolf überführen können. Hör zu! Es ist doch völlig offensichtlich, dass der Mensch, der uns die Briefe schreibt, genau weiß, wo ich gerade bin. Wenn du mich unauffällig beschattest, findest du auch meinen Verfolger.«
»Also Vater, wirklich, warum sollte irgendjemand dich verfolgen? Hast du es vergessen? Ich bin doch der Haupttatverdächtige hier! Und ich gehe mich jetzt mal umhören, wo sich dieser Adolf in letzter Zeit überall rumgetrieben hat und was für Probleme er hatte. Wenn du unbedingt Detektiv spielen willst, dann kannst du ja mich beschatten!«
|68| Das ganze Haus ist immer noch am Wackeln und Vibrieren. Die Arbeiter hatten mir versprochen, dass es keine Minute länger als zwei Stunden dauern würde, die Kacheln im Badezimmer wegzuhauen. Dann hätte ich meine Ruhe. Jetzt reißen sie schon seit fünf Stunden das Haus ab (es kommt einem wirklich so vor) und ein Ende ist nicht in Sicht. Zudem jammert mir meine Frau genauso lange die Ohren voll, dass sie nicht aufs Klo gehen kann.
»Bedank dich doch bei deinem lieben Schwiegersohn. Jetzt merkst du, wie gesund er kocht«, sage ich.
»Doch nicht deswegen. Wegen der Arbeiter kann ich nicht ins Badezimmer.«
»Geh einfach rein, dann müssen sie doch aufhören.«
»Ich war drin und die haben auch tatsächlich aufgehört zu arbeiten. Stattdessen haben sie dann, ohne mit der Wimper zu zucken, die ganze Zeit mich angestarrt, während ich auf dem Klo saß!«, brüllt sie, damit ich sie hören kann.
Und plötzlich geschieht etwas Geisterhaftes – etwas Unglaubliches: Ich sehe,
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